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Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Hotel Mama vorübergehend geschlossen

Titel: Hotel Mama vorübergehend geschlossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wenn es bimmelte, oder er ließ es zu lange drin, dann lief die Milch über und klebte überall, oder das Gemüse zerfiel zu Brei, sobald man es mit der Gabel berührte. »Was ist eigentlich los mit dir?« Er trug seinen geleerten Teller zum Spülbecken und schaltete die danebenstehende Espressomaschine an. »Trauerst du deinen abgereisten Gästen hinterher?«
    »Am liebsten würde ich sie zurückholen!«
    Er ließ die dunkle Flüssigkeit in die kleine Tasse laufen, legte zwei Stück Würfelzucker und ein Amaretto-Plätzchen daneben und stellte sie vor Tinchen hin. »Ich weiß ja, daß du nach neunundzwanzig Ehejahren sämtliche Witze von mir kennst und auch eingesehen hast, daß ich mir partout nicht die Namen von Liz Taylors acht Ehemännern merken kann – oder sind es inzwischen neun? –, über die man vermutlich einen ganzen Abend lang reden könnte, ich lese auch andere Bücher als du und vor allen Dingen viel weniger, aber bisher haben wir uns doch trotzdem noch nie zusammen gelangweilt. Weshalb denn jetzt plötzlich dein Drang nach Gesellschaft? Eine ganze Woche lang Weihnachten hat mir eigentlich gelangt!«
    »Mir doch auch!« Schluchzend fiel ihm Tinchen um den Hals. »Ich hab mich so gefreut auf ein paar ganz ruhige Tage und Silvester ohne Gäste und ohne irgendwo hinzumüssen, und dann kam heute morgen das hier!« Aus der Hosentasche zog sie einen schon reichlich zerknitterten Briefbogen, der gar keiner war, sondern die herausgerissene Seite aus einem Schreibheft, bedeckt mit gestochen scharfen Buchstaben in Sütterlinschrift. »Ich wollte ihn dir nicht vor dem Essen geben, sonst hätte er dir wohl auch noch den Appetit verdorben.«
    Florian brauchte nur einen Blick auf das Papier zu werfen, dann wußte er Bescheid. »Tante Mine?«
    Tinchen nickte bloß. »Sie ist schon in Köln.«
    Hermine Henslow hatte quasi zu den Erblasten gehört, die Florian und seinem Bruder nach dem Tod des Vaters aufgehalst worden waren. Dazu hatten in erster Linie die zentnerschweren Möbel gehört, nicht alt genug, um einen Antiquar zu interessieren, und nicht ansehnlich genug, um wenigstens teilweise in das eigene Mobiliar integriert und erstaunten Besuchern als »Erbstück von den Eltern, nicht gerade antik, aber es hängen so viele Erinnerungen dran!« erläutert zu werden. Schließlich hatte eine auf Haushaltsauflösungen spezialisierte Firma die Sachen abgeholt und auch alles das mitgenommen, was sich weder hatte verschenken noch sonstwie an den Mann bringen lassen. Nun war nur noch Hermine Henslow übriggeblieben, die man natürlich nicht auf eine ähnlich unproblematische Weise loswerden konnte. Dabei wußten weder Fabian noch Florian, in welchem Verwandtschaftsverhältnis sie eigentlich zu ihnen stand. Sie selbst bezeichnete sich als die Kusine »eures leider viel zu früh verstorbenen Vaters« (mit dreiundneunzig nach einem Schlaganfall!), aber das konnte nicht stimmen. Der hatte nämlich gar keine Geschwister gehabt. Trotzdem mußte Hermine irgendwie dazugehört haben, denn bei größeren Familienfesten war sie immer dagewesen, zwar meistens im Hintergrund oder in der Küche mithelfend, jedoch darauf beharrend, von der jüngeren Generation mit ›Tante Mine‹ angeredet zu werden. Jahre später war in Florian der Verdacht aufgekeimt, Hermine sei keine Verwandte, sondern eine sehr gute Bekannte, und zwar speziell seines Vaters, was Fabian jedoch bestritten hatte. »Eine Amour traue ich ihm ohne weiteres zu, aber nicht die Geschmacklosigkeit, sie ins Haus zu bringen.« Das hatte Florian eingesehen, zumal seine Mutter offenbar nichts gegen die gelegentliche Anwesenheit von Tante Mine einzuwenden gehabt hatte. Gezielte Fragen hatte sie mit einem energischen »Zu
meiner
Familie gehört sie nicht!« beantwortet, was jeden Neugierigen von weiteren Nachforschungen abgehalten hatte. Man tippte auf eine entfernte Verwandte, die ein bißchen unterstützt und gelegentlich auch mal eingeladen wurde, und irgendwann hatte Florian es sogar geglaubt. Allerdings nur so lange, bis er zu seiner Hochzeit mit Tinchen den Scheck über eine vierstellige Summe bekommen hatte. Sie lebe in recht guten Verhältnissen, hatte sein Vater dieses unerwartete Geschenk kurz kommentiert, und später hatte Tante Mine diese Behauptung auf »ich habe mein Auskommen« reduziert. Immerhin ermöglichte ihr dieses ›Auskommen‹ eine komfortable Zweizimmerwohnung in einem Seniorenstift am Ammersee – »ab fünftausend Mark monatlich heißt das natürlich

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