Hotel Nirgendwo - Roman
ich ihn nachmittags in seinem Zimmer. Opa schlief im Grunde die ganze Zeit, und wenn er mich dann erblickte, überkam ihn große Zärtlichkeit und er schenkte mir irgendein Spielzeug aus Draht oder aus Schrauben. Er gab mir etwas Kleingeld und bat mich, zum Ausschank zu gehen und ihm ein Bier zu bringen, das Restgeld durfte ich immer behalten. Es schien, als ob alles besser wäre, wenn er einfach die Augen schließen würde.
Einmal schlich ich um die Rezeption herum und traf dort auf Ivan und Zoki. Die beiden fanden es verdächtig, dass mein Großvater das Hotel jeden Abend zur gleichen Zeit verließ. Die Jungs vermuteten, dass er irgendwo Geld versteckte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Wenn er wirklich etwas Schlimmes im Schilde führte, dachte ich, war es besser, wenn ich nicht dabei war, andererseits wollte ich ihn auch nicht im Stich lassen. Wir gingen los, hielten uns an die fünfzehn Meter hinter ihm, aber Opa drehte sich kein einziges Mal um. Wir gingen an der großen Wiese hinter der Schule vorbei und kamen bei einer leichten Anhöhe an. Dann sahen wir im Gras einen großen Stein in die Höhe ragen, vor dem mein Opa beflissen in die Knie ging. Wir konnten nicht erkennen, was genau er machte, und weil keiner von uns wirklich Angst vor ihm hatte, ging Zoki schließlich zu ihm und sagte: »Sag mal Väterchen, hast du da einen Schatz versteckt oder was?« Da er keine Antwort erhielt, drehte er sich nach ein paar Sekunden um und kam wieder zu uns zurück. Er sagte, mein Opa habe einen Knall, er knie vor einem Stein, auf dem jemand mit Kreide ein Kreuz gemalt habe. Ich war erleichtert. Er war also einfach nur verrückt, es war nichts Schlimmeres. Schweigend gingen wir nach Hause.
*
Zoki war in meinem Alter. Er war einer von denen, die ständig Schlägereien anzettelten, grundlos auf andere Kinder spuckten und denen man gleich ansah, dass sie nichts Gutes im Schilde führten. Seine Cousine erzählte mir, sein Vater habe ihn als Baby nackt auf den Hof in den Schnee geworfen, damit er mit dem Weinen aufhörte. Seine Zwillingsschwester Zorica ging mit mir in die gleiche Klasse.
Es war an unserem letzten Schultag. Auf dem Weg zum Hotel entdeckten Marina, Zorica und ich einen kümmerlichen kleinen Kater. Es war sehr aufregend. Der Kater war so klein, dass er auf zwei Handflächen passte. Stellenweise hatte er überhaupt kein Fell, aber immerhin regte er sich und miaute leise vor sich hin. Wir entschieden uns, ihn zu retten. Ich holte die Tasche hervor, in der ich meine Schulschlappen aufbewahrte, und steckte ihn hinein. Wir trugen ihn zum Berg hinter der Politikschule, besorgten einen Karton und ein paar Kleider von der Caritas und wickelten das Tier darin ein. Wir vereinbarten, dass wir aus der Ambulanz eine Spritze klauen würden, mit der wir ihm Milch einflößen konnten. Das Frühstück brachten wir ihm abwechselnd, weil wir immer vor sieben aufstehen mussten. Wenn Zorica an der Reihe war, verschlief sie jedes Mal. Wir beschwerten uns nicht bei ihr, fanden aber einen neuen Platz für den Kater und mieden sie fortan. Als wir eines Tages auf dem Weg zum Berg waren, bemerkten wir, dass sie uns folgte, also drehten wir um und wollten zurücklaufen. Zorica trat dicht an mich heran und sagte: »Möge Gott dafür sorgen, dass dein Vater nie zurückkommt!« Ich versuchte sie anzuspucken, aber sie wich mir aus und rannte weg. Ich erzählte allen, was sie zu mir gesagt hatte, und bald wollte niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben. Nach ein paar Tagen verschwand unser Katerchen aus dem Karton. Wir suchten den ganzen Berg ab, sahen ihn aber nie wieder.
Der Sommer ging vorüber, ohne dass Zorica und ich uns ausgesöhnt hätten. Sie schlich aber immer herum, allein oder in Gesellschaft ihrer Cousine Nataša, die alle Dickwanst nannten und die kurz davor war, in eine Sonderschule versetzt zu werden. Eines Nachmittags traf ich Nataša und sagte ihr, sie solle Zorica ausrichten, dass ich mich mit ihr versöhnen wollte. Zorica kam nach ein paar Minuten angerannt, und schon aus der Ferne sah ich, dass sie lächelte. Sie reichte mir die Hand und sagte, dass sie das mit meinem Vater nicht ernst gemeint habe. Ich gab ihr nicht meine Hand und sagte ihr, dass die Sache mit der Versöhnung nur ein Scherz war. Ich drehte mich um und ließ sie einfach stehen.
*
Nataša hatte mehrere Spitznamen. Dickwanst, Fresserchen, Kümmerling und Beatles, letzteren weil sie stumpfe Haare hatte, die wie dünne Drähte
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