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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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werfen.
    Die Tragödie dieser Familie mit zwei Kindern begann mit dem Fall von Vukovar. Seitdem ist das Schicksal des Vaters unbekannt. Er war in der Stadt geblieben, um diese gegen die Tschetniks und die Jugo-Armee zu verteidigen; danach hat sich jede Spur von ihm verloren. Im Verzeichnis der Verwundeten und Umgekommenen taucht er nicht auf, er ist nicht auf der Liste des Internationalen Roten Kreuzes zu finden, das auch in den serbischen Lagern Überprüfungen vorgenommen hatte … Die einzige Hoffnung, die noch bleibt, ist, dass sich der Vater in einem der nicht offiziell registrierten serbischen Lager befindet, zu denen das Internationale Rote Kreuz keinen Zugang hat.
    Den Verlust ihres Besitzes (zwei Familienhäuser und eine Wohnung) würden sie noch irgendwie verwinden können, sagt die Familie, aber in Vukovar hat man ihrem Großvater die Kehle durchgeschnitten. »Wir wollen nichts, was uns nicht gehört, wir wollen einfach zurück zu unserem Hab und Gut, selbst wenn alles dem Erdboden gleichgemacht ist. Wir bitten Sie nur um ein Dach über dem Kopf und um ein bisschen Verständnis. Wir müssen hier leben, lieber aber würden wir schon heute als morgen nach Hause zurückkehren.« So die Worte der Mutter, von der wir noch am Ende des Gesprächs Folgendes hörten: »Mein Sohn überquert die Straße bei Rot, ohne auf die Ampel zu achten. Er sagt: Es macht keinen Unterschied, ob ich lebe oder sterbe.« Die Mutter weint immerzu. Sie ist dreißig Jahre alt.
     
    *
     
    Am Anfang benutzten wir nur eines der Zimmer und die Küche. Im zweiten großen Raum lagen noch immer die Sachen der fremden Frau, die kurz vor unserem Einbruch ausgezogen war. Mama trichterte uns ein, nichts davon anzurühren. Jacken, bunte Tücher, Schmuck, Stiefel und ein rotes Täschchen lagen so lange in der Mitte des Zimmers herum, bis irgendwann Željka und ihre Mama zu uns zogen. Daraufhin schoben wir alles in eine Ecke und legten eine Plastikdecke darüber.
    In der Kaserne, in der die beiden mehrere Wochen verbracht hatten, mussten sie das Bad mit fünfzig Leuten teilen, im Zimmer waren sie genauso viele, und alle schliefen auf Eisenhochbetten. Sie hielten es dort einfach nicht mehr aus. Jetzt lebten wir zu sechst in der Wohnung. Mich freute es sehr, dass wir wieder zusammen waren, denn trotz allem war das doch ein Grund zur Freude. Ich glaube, nur meiner Oma war es nicht ganz recht, aber sie bekam ihr eigenes Bett. Wir schliefen alle auf dem Boden, auf Stepp- und Daunendecken, die wir eine neben der anderen auf den Boden legten.
    Gegenüber wohnte eine Dame namens Barica, die immer auf mich aufpasste, wenn die anderen Besorgungen machten. Sie machte mir Palatschinken mit Tomatenmus, fuhr mit mir nach Bundek zum See, auf die Bergspitze in Sljeme und nahm mich auch mit zu ihrer Schwester ins Vorgebirge von Šestine. Sie hatte nie geheiratet und hatte keine Kinder, deshalb liebte sie mich sehr. Die Wohnung direkt neben uns gehörte Onkelchen Rudi und Tantchen Nina. Die beiden brachten manchmal Mohnkuchen vorbei. Tantchen Nina hatte immer ein Pendel bei sich und ließ es ausschwenken, um uns mitzuteilen, ob es etwas Neues von Papa gab. Das Pendel sagte immer, dass mein Vater noch am Leben und nicht begraben und dass er bei bester Gesundheit war. Nina war es auch, die meiner Mama Telefonnummern von Hellsehern und Numerologen gab, die uns dann das Gleiche wie sie sagten. Ein Mann, der es geschafft hatte, durch einen Gefangenentausch aus der Stadt herauszukommen, erzählte Mama aber, er habe persönlich ein Leintuch über Papas Kopf gelegt.
     
    *
     
    In den Park neben dem Hochhaus zog der Frühling ein, und ich verbrachte Stunden damit, auf einer Bank zu sitzen. Ich wurde Mitglied in der Stadtbücherei und las jede Woche drei Bücher. Ich las im Park, im Badezimmer, auf dem Balkon, während der Schulpause. Ich las alles, was ich in die Hände bekam, entdeckte eine neue Parallelwelt und siedelte geradezu vollständig in diese über. Ich stand morgens vor allen anderen auf, wenn es noch ganz ruhig war, trank eine Tasse Pulvermilch und verschwand nach draußen. Meine und Željkas Mama fingen an, für ein klitzekleines Gehalt in der Schuhfabrik Astra zu arbeiten und verließen morgens immer sehr früh die Wohnung.
    Manchmal gingen sie an den Nachmittagen zur Caritas, um die für uns reservierten Lebensmittel abzuholen, oder in die Stadtvertretung von Vukovar, um zu erfragen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gab. In dieser Zeit begann man, den Leuten,

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