Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
Vom Netzwerk:
eine Jeans für mich, mit Flicken auf den Knien, das war das, was ich mir am meisten gewünscht hatte. Mein Bruder bekam Schreibhefte, auf denen vorne die kroatische Fahne abgebildet war, und einen Stoffrucksack für die Schule. Er sah damit sehr cool aus, und ich glaube, das freute ihn, weil er bisher seine Bücher immer in der alten Aktentasche unseres Onkels getragen hatte. Ich wollte Mama etwas schenken, aber ich hatte kein Geld, um etwas zu kaufen. Ich kam auf die Idee, eine Packung Benson & Hedges aus ihrer Zigarettenstange zu klauen und sie zusammen mit dem »Königreich der Tiere« in buntes Papier einzuwickeln. Meine Cousinen bekamen einen Kombi für ihre Barbies. Wir waren im Grunde alle zufrieden mit den Geschenken.
    In diesem Winter fiel jede Menge Schnee, und wir verbrachten die Zeit draußen mit Rodeln. Bald begann das zweite Halbjahr, und ich ging immer noch in die gleiche Schule, dabei war ich mir sicher gewesen, ich würde dieses Halbjahr in Vukovar beenden. Eines Abends kam mein Onkel von der Arbeit nach Hause und sagte zu Mama, dass er von einer leeren Wohnung in Novi Zagreb erfahren habe. Man müsse sie lediglich aufbrechen. Er sagte, ein Verwandter von ihm könne uns helfen und das für uns erledigen. Nach dem Einbruch, so der Plan unseres Onkels, würde der Verwandte verschwinden, und Mama würde auf die Polizei warten. Niemand, sagte er, wirklich niemand werfe eine Frau mit zwei Kindern aus einer leeren Wohnung auf die Straße. Und wenn dies doch geschehen sollte, so würde man mit Sicherheit eine andere Unterkunft für uns finden. Das sei mehr als genug, das sei wirklich alles, was er noch für uns tun könne.
    Željka und ihre Mama sind auch von ihren Verwandten weggegangen, man hat sie nach Pula geschickt, in irgendeine Kaserne. Wir haben danach einmal telefoniert, sie haben beide geweint.
     
    *
     
    Ich war noch nie vorher im fünfzehnten Stockwerk gewesen. Die Nacht, bevor wir in die Wohnung gezogen sind, habe ich bei Omas Bruder in Samobor verbracht. Oma hatte es geschafft, sich über Novi Sad und Ungarn aus Vukovar zu retten. Sie hatten also nur meinen Opa abgeschlachtet. Eine Zeitlang lebte Oma im Keller mit ihrer Nachbarin Marica. Die Serben hatten sie vergewaltigt und ihr ein Auge weggeschossen. Oma war heil davongekommen. Die beiden haben sich mit rohen Eiern und Schnaps am Leben erhalten. Dann ist es Oma irgendwie gelungen abzuhauen, Marica ist ihr erst viel später gefolgt. Meine Oma erzählte den Leuten immer wieder, was sie alles erleben musste. Sie war überzeugt davon, dass ihr Sohn ermordet worden war. Das wollte sich aber niemand anhören. In ihrem Haus, auf dem kleinen Schränkchen neben dem Telefon, hatte ein Bild gestanden, auf dem Papa, Bruder, Onkel und Opa zu sehen waren. Als die Serben das Haus gestürmt hatten, nahm einer von ihnen das Bild in die Hand, betrachtete es eine Weile und sagte dann, früher oder später würde er jeden einzelnen finden, der darauf abgebildet war.
    Oma brachte mich aus Samobor direkt in die neue Wohnung und zog noch am gleichen Tag bei uns ein. Meine Mama machte uns die Eingangstür des Wolkenkratzers auf. Sie war übermüdet, aber sie lächelte. Es war eine Zweizimmerwohnung, der Besitzer lebte nicht darin, die letzte Mieterin war offenbar eine Serbin aus Derventa gewesen. Sie hatte hier nur als Untermieterin gewohnt. Man hatte ihr die Wohnung illegal vermietet, davon wussten wir aber anfangs nichts. Sie war fortgegangen, kostete aber meine Mutter dennoch ein paar Jahre ihrer Lebensenergie, denn sie hatte im Kühlschrank ein Ei liegen lassen. Als Mama die Wohnung betrat, machte sie als erstes den Kühlschrank auf. Darin erblickte sie das Ei und starb augenblicklich fast vor Angst, weil sie dachte, sie hätte sich schuldig gemacht und hier würde doch noch jemand leben.
    Der eigentliche Vermieter der Wohnung war ein Mann, der unter Höhenangst litt. Das Apartment gehörte seiner Firma, er selbst hatte aber nie hier gewohnt. Dennoch erhob er Klage gegen uns und verlangte, dass wir auf der Stelle hinausgeschmissen werden. In der Anklage stand, er sei mit seiner Frau über Weihnachten verreist gewesen und hätte bei seiner Rückkehr Einbrecher in der Wohnung vorgefunden. Er führte auf, es bestünde die Gefahr, er würde seiner persönlichen Dinge entledigt werden, und äußerte die Befürchtung, sein Mobiliar könnte von uns beschädigt werden.
     
    Vor Gericht wurden wir von einer berühmten Verteidigerin vertreten, kostenlos, und in

Weitere Kostenlose Bücher