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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Rauchen, was meine Mama beruhigte, und es war schwer, sie davon wegzubringen. Ich rief nach ihr, aber sie antwortete nicht. »Mama!«, sagte ich wieder und noch ein bisschen lauter, »die Leute unten an der Bar sagen, die Stadt ist befreit und die Rückkehr schon geregelt!« Ich sprach sehr hastig, sagte, »ja, wirklich, das habe ich mir nicht ausgedacht«. – »Wenn das stimmt«, sagte sie, »dann hätten die Slowenen längst etwas dazu veröffentlicht.« Sie schaute beim Häkeln kurz zu mir auf und schüttelte nur den Kopf.
    Sie hatte natürlich recht. Nicht nur, dass wir nicht am nächsten Tag nach Hause gefahren sind, es sah sogar so aus, als würden wir niemals nach Vukovar zurückkehren können.
    Der Ausdruck Wohnungskommission klang in meinen Ohren nach etwas, das mit der Kirche zu tun hatte, vielleicht auch mit der Universität. Der ihr vorstehende Präsident war mir über die Jahre hinweg unerreichbar weit weg vorgekommen, so weit weg, wie einem ein Berggipfel weit weg vorkommen kann. Oder auch so nah wie unser Onkel, der im Grunde nie da war, dessen Wärme Teil einer Vergangenheit war, in der es noch keine kroatischen Reisepässe gegeben hat. Jetzt wärmte er uns aus dieser verflossenen Zeit heraus, wie einen nur Legenden wärmen können, wenn man ganz fest daran glaubt, dass sie eines Tages Wirklichkeit werden.
    Auf diese Weise glaubten wir auch, dass wir irgendwann eine neue Wohnung bekämen. Lösung. Noch eines dieser Wörter, die meine Altersgenossen aus Mathematikbüchern kannten und ich aus dem Schriftverkehr und den unzähligen Briefen, die ich für Mama schrieb. Es musste eine Lösung für die Invalidenrente her, es musste eine Lösung für die Zusatzrente her, eine Lösung für den Status eines kroatischen Landesverteidigers. Alles blieb gleich, nur die einzelnen Personen, die den Kommissionen vorstanden, wurden ständig ausgewechselt. Wir gewöhnten uns an die Ämter. Und was meine Mama anging, sollte ruhig jeder, der irgendwelche Funktionen ausübte, alles Mögliche bekommen, ganz egal, ob es Wohnungen und Häuser oder Wochenendhäuschen waren, und ganz egal, in welcher Quadratmeterzahl.
    Mama arbeitete freiwillig bei einer Hilfsorganisation namens Apel, die unseren Vater suchte. Es war ihr wichtig, auf diese Weise etwas beizusteuern, und sie wollte in der Nähe der Menschen sein, die über unser Schicksal entschieden. Sie sammelte Dokumente über Leute, die verschwunden waren, und legte sie in großen Kartons ab, mit denen die Angehörigen dann zu den Botschaften gingen. Sie war auch noch weiterhin bei Onkel Grgo beschäftigt, deshalb verließ sie das Haus sehr früh und kehrte erst spätabends zurück. Manchmal kam sie mit einer weißen Pralinentüte von Griotto und einem Päckchen aufgerissener Neapolitanerschnitten nach Hause. Wenn ich Schulferien hatte, nahm sie mich mit. Wir gingen gemeinsam zu Apel, dem Zentrum für Menschenrechte, das in gemieteten Räumen ganz in der Nähe der Kaserne in Črnomerc untergebracht war. Tante Zdenka bot uns immer Kekse und Kaffee an. Sie war dort die wichtigste Ansprechpartnerin, und ihr Bruder war in der Nähe von Osijek verschollen. Der Kaffee wurde auf einem kleinen Elektroherd in einem Topf gekocht, und sie goss uns ständig nach. Zwei andere Frauen waren auch regelmäßig dort. Rosana aus Bosnien trug rot lackierte Nägel, die aber bis zur Hälfte abgekaut waren, und war so etwas wie die Kassenwärterin im Zentrum. Die andere Frau war um die siebzig, sie hatte alle ihr nahestehenden Menschen verloren, und jedes Mal, wenn sie mich erblickte, stürzte sie sich auf mich, küsste und umarmte mich und bestand darauf, dass ich neben ihr Platz nahm. Auch andere Menschen kamen öfter dorthin, jeder suchte jemanden. Der zweite Raum des Apel-Zentrums war verdunkelt und mit Kartons überfüllt, in denen Dokumente Verschollener, Vermisster, in Gefangenschaft Geratener und Ermordeter lagen. Dieses Zimmer fand ich aus einem ziemlich banalen Grund aufregend: Darin befand sich ein Computer. An den Vormittagen, die wir dort verbrachten, hielt ich es problemlos eine halbe Stunde bei den anderen aus und verschaffte mir einen Überblick darüber, wer alles neu dazugekommen war und aus welchen Gründen er oder sie geweint hatte. Dann fing ich meistens an, leise zu stöhnen und die Tür anzustarren. Eine Viertelstunde später fragte Tante Zdenka immer: »Na, Kleine, langweilst du dich?« Ich lächelte dann und schaute wie zufällig zum anderen Raum. »Willst du dich ein

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