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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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Situation erschien mir das also nicht angebracht. Ich wartete darauf, dass die Dinge sich ein wenig beruhigten, und als sich mit Damir alles gut zu entwickeln schien, trat ich in Aktion. An einem Nachmittag nach der Schule sagte ich zu Mama: »Weißt du, Marina hat eine Levi’s, 501er, diese ganz ausgeblichenen und mit einem kleinen Schlag. Die hat ihr ihre Tante aus Deutschland mitgebracht.« Den letzten Satz, kaum ausgesprochen, bereute ich auf der Stelle, denn ich hatte auch einen Onkel in Deutschland, und wenn sie sich jetzt an ihn erinnerte, würde mein ganzer Plan schiefgehen. »Du willst eine Levi’s?« Sie hielt mit dem Häkeln inne und sah zu mir herauf. »Solche Hosen kosten bestimmt hundert Mark!« Ich schaute sie an, so traurig wie ich nur konnte, denn das funktionierte immer. Und da ich dazu nichts weiter zu sagen hatte, meinte ich nur: »Ich würde sowieso am liebsten die in Dunkelrot haben, die gibt es bei uns eh nicht.« – Das letzte, was ich erwartet hatte, war, dass meine Mutter am nächsten Tag mit einer Tüte nach Hause kommen würde, auf der Levi’s stand. Als sie das Zimmer betrat, war sie glücklicher als sonst, was an sich schon ein Geschenk war. »Ich habe etwas für dich.« Sie lächelte. Ich konnte es nicht glauben und hatte das Gefühl, vor Glück zu zerspringen. Sie holte die Jeans aus der Tüte, und es stand wirklich Levi’s darauf, nur war unter dem Licht zu sehen, dass sie nicht dunkelrot, sondern kirschrot war. Und als ich sie mir hinhielt, kam es mir vor, dass sie doch in Richtung karottenrot ging und mir ein bisschen zu groß war. Gut, ich war noch am Wachsen. Mama sah mich beschwingt an und drängte mich, die Hose anzuprobieren. »Ich glaube, die müssten dir passen, ich habe sie bei Varteks im Sonderangebot gefunden«, sagte sie. Die Jeans für meinen Bruder war blau, ich fand es ein bisschen eigenartig, dass es auch eine Levi’s war. »So mein Liebling«, sagte sie, »die Frau im Laden hat gesagt, dass das im Moment alle tragen.« Und dann fügte sie nach einem Moment der Stille hinzu: »Onkel Grgo hat mein Gehalt erhöht.« – »Sie sind echt super«, sagte ich, gab Mama einen Kuss auf die Wange, obwohl die Jeans nicht so war, wie ich sie mir vorgestellt hatte. – »Die kaufen jetzt alle, weil sie billig sind«, sagte mein Bruder und legte die Jeans in den Schrank.
    Ich konnte trotzdem den nächsten Morgen gar nicht erwarten. Lange lag ich wach und malte mir Damir und mich aus, Hand in Hand, zusammen, auf dem Schulflur. Mir entging kein einziges Detail. Ich trug natürlich meine Levi’s, zusammen mit den dunkelroten Chucks , die ich aus Italien hatte, und dazu den neuen bordeauxfarbenen Rollkragenpullover. Diese Farbe liebte ich sehr. Alles war vollkommen, bis zu jenem Moment, in dem wir uns trennten und jeder in seinem Klassenraum verschwand. Da wurde die Sache kompliziert, weil ich den Zungenkuss überspringen wollte. Ich hatte Damir früher dabei beobachtet, wie er das mit allen seinen Exfreundinnen tat. Immerhin war er in der achten Klasse und ich erst in der sechsten, obwohl einige Sechstklässlerinnen auch schon mit Zunge geküsst hatten. Da es klar war, dass er mich liebte, ging ich davon aus, dass es ihm möglich sein würde, das Ganze zwei Monate aufzuschieben, bis wir uns etwas besser kannten. Dann wäre ich eine Siebtklässlerin und würde mich vielleicht etwas weniger vor seiner Zunge ekeln.
    Mit diesen Gedanken schlief ich ein, und am Morgen lief alles genau wie in meinem Traum, bis ich die Schule betrat. Wir sahen uns sofort, er zwinkerte mir zu und grüßte nickend. Er stand vor der Mädchentoilette, und es machte den Anschein, als warte er auf jemanden. Ich wollte stehen bleiben, um ihn zu begrüßen, doch da kam das Dorfmädel raus, und er legte seinen Arm um ihren Hals. Ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Fußtritt in den Magen verpasst. Nachdem er so lange immer wieder an die Wand geklopft hatte, die unsere beiden Zimmer trennte, war ich nicht auf ein solches Ende gefasst. Es kam mir jetzt auch das erste Mal in den Sinn, dass es vielleicht seine kleine Schwester war, die ständig an die Wand geklopft hatte, und nicht er. Ich hätte am liebsten geweint, drückte aber stattdessen den Rücken durch und ging stolz und wortlos an ihm vorbei. Das Dorfmädchen war grauenhaft. Sie war schon in der siebten Klasse, und es machte ihr sicher nichts aus, dass alle Bekanntschaft mit ihrer Zunge machten. Dieser Gedanke beruhigte mich einigermaßen, und

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