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Hotel Nirgendwo - Roman

Hotel Nirgendwo - Roman

Titel: Hotel Nirgendwo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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dass wir den Italienern doch einiges voraushatten, auch wenn sie in wiederum anderen Dingen uns um einiges voraus waren. Ich machte mir ein Sandwich und fing zu essen an, während die anderen auf ihre anderen Speisen warteten. Mein Hunger war zu groß. Die Melone hob ich mir für später auf. Ich nahm an, dass mich Lettizia davon überzeugen wollte, alles zusammen zu essen, denn sie griff zu meinem Teller und zeigte auf beides, um mir zu demonstrieren, wie man das Ganze isst. Mir war das ein wenig unangenehm, weil sie sich ganz offensichtlich zum Affen machte und niemand darauf reagierte. Dann sah ich mich um und bemerkte, dass alle anderen es auch so wie sie aßen. Der Kellner stellte bald tausend weitere Gerichte auf den Tisch. Aber ich war überglücklich, weil ich morgen nach Hause durfte.
     
    *
     
    Ich machte die Augen auf, und das Zimmer war sonnendurchflutet. Durch die vertrauten, kaputten Rollläden bahnte das Licht sich vom schiefen Fenster seinen Weg, und ich brauchte ein paar Minuten, um mich daran zu gewöhnen. Auf dem anderen Bett schlief mein Bruder. Ich war endlich zu Hause. Auf dem dritten Bett saßen meine und Željkas Mama. Sie tranken jeden Morgen einen Kaffee zusammen, einmal bei uns, einmal bei ihr, immer gegen halb acht, kurz bevor wir in die Schule gingen und an den Wochenenden und in den Ferien, wenn wir schliefen. Diesen ersten Kaffee tranken sie in der morgendlichen Stille, und falls ich früher wach wurde, tat ich so, als schliefe ich noch, um sie nicht zu stören. Man hörte ein erstes »Grüß dich« und dann das kochende Wasser, jede von ihnen rauchte zwei Zigaretten, das wusste ich, weil ich mitzählte, wenn das Feuerzeug angemacht wurde, dann folgte das Einatmen, manchmal ein leise hinausgestoßenes – »Scheißleben!« und »Also mach’s gut«. Manchmal habe ich mich gefragt, was die beiden Frauen eigentlich für Freundinnen waren, denn sie schwiegen meistens miteinander, als würden sie sich gegenseitig langweilen, andererseits verbrachten sie viel Zeit zusammen, hatten nicht allzu viele andere Freundschaften und besuchten nie jemanden in den anderen Zimmern. Mit geschlossenen Augen wartete ich darauf, dass wir wieder allein waren und ich meinen Kopf an Mama schmiegen konnte, ich hoffte, dass sie mich noch ein bisschen umarmen würde, bevor wir zum Frühstück gingen. Als ich angekommen war, war es schon spät, und ich hatte weder meine Sachen ausgepackt noch gezeigt, was ich für sie und den Bruder aus Italien mitgebracht hatte. Als Mama jetzt das grelle Papageien-T-Shirt sah, musste sie lachen. »Das ist für mich?«, wunderte sie sich. – »Ja, sicher«, sagte ich, »das schickt dir Marissa, sie hat ein ganz ähnliches Modell.« – »Diese Frau hat Geld und trägt so etwas?« Mama konnte nicht aufhören, über den Papagei zu lachen, dabei hielt sie sich das T-Shirt hin, um es im Spiegel anzusehen. »Das ist jetzt total modern«, versuchte ich sie zu überzeugen. Mein Bruder und ich waren begeistert von ihrem Lachen, und wir wollten nicht, dass es aufhörte. Am Ende konnten wir sie dazu bringen, das T-Shirt anzuziehen und es uns im Zimmer vorzuführen wie auf einem Laufsteg. Sie hatte viel Spaß dabei, und ich brüllte vor Lachen und vor Glück. Auch mein Bruder bekam ein paar schöne Kleidungsstücke, die sonst keiner hatte, weder hier noch in Zabok, wo er aufs Gymnasium ging. Ich glaube, er war durchweg zufrieden, und es kam mir so vor, als sei ihm auf einmal sein Aussehen wichtig geworden. »Jetzt ist’s genug«, sagte Mama, »wir kommen noch zu spät zum Frühstück.« Ihre Stimme hatte schon eine andere Färbung angenommen.
     
    *
     
    Auf der Rückreise zum Hotel Zagorje hatten Jelena und ich uns im Bus für den nächsten Morgen zum Frühstück verabredet. Als ich mit Mama und meinem Bruder das Restaurant betrat, sah ich sie gleich mit einem Tablett in der Hand am Anfang der Warteschlange stehen. Sie trug ihre neuen hohen Turnschuhe, die gleichen, die auch ich hatte. Dunkelrote Chucks. Meine hatte ich nicht an, und das tat mir jetzt leid. »Da ist Jelena«, sagte ich zu Mama, in der Hoffnung, dass sie so etwas wie »Na, geh schon hin« sagen würde. Aber sie nickte nur. Obwohl ich meine Familie zwei Wochen lang nicht gesehen hatte, war es mir wichtig, neben meiner Freundin zu sitzen. Jelena bemerkte mich, wir sahen uns an und waren in diesem Augenblick die einzigen auf der Welt, die einander verstanden. Nur sie und ich waren aus unserer Unterkunft nach Italien gereist.

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