Hotel Pastis
ändern.
Schließlich versuchte Simon, die unerquickliche Unterhaltung auf den wahren Zweck von Enricos Besuch zu lenken. Es war nicht viel anders als im Werbegeschäft, dachte er. Über das eigentliche Geschäft sprach man grundsätzlich nicht, bevor der Kaffee kam.
»Enrico, was Sie mir da erzählen — das passiert doch in Städten und nicht in Dörfern wie diesem, oder?«
»Die Zeiten haben sich geändert, mein Freund. Die Konkurrenz auf dem Markt wächst ständig, und zu viele Dilettanten wollen mitmischen.« Er schüttelte den Kopf. »Dilettanten sind ungeduldig und gierig. Sie haben den wichtigsten Grundsatz des organisierten Geschäfts nicht verstanden.« Der Rauch aus seiner Zigarette kräuselte sich, und Enrico saß starr und unbeweglich da.
Simon dachte einen Augenblick darüber nach, von welchen »Grundsätzen« Enrico sich bei seiner Arbeit wohl leiten ließ. Wahrscheinlich in der Art: Dynamit ja, aber nicht zu viele Kunden dabei hopsgehen lassen. »Sie meinen...?«
»Jeder muß davon profitieren.«
»Ja, selbstverständlich. Aber ich verstehe nicht, was das Hotel damit zu tun hat.«
»Ach so.« Enrico drückte seine Zigarette aus und faltete erneut seine makellosen Hände. »Das ist ganz einfach. Sie haben eine Wäscherei. Sie brauchen Nachschub für die Bar. Ihre Zimmer müssen von Zeit zu Zeit neu gestrichen werden. Sie kaufen Fisch und Fleisch. Ihr wunderbarer Swimmingpool muß gepflegt werden. Verstehen Sie?«
Simon verstand.
»Ich habe Kollegen«, fuhr Enrico fort, »in all diesen Branchen, sie arbeiten auf höchstem Niveau. Sie werden sich freuen, Ihnen zu Diensten zu sein. Das kann ich Ihnen versprechen.« Er lächelte über den Tisch, ein Mann, der sich sicher war, daß andere genau das taten, was er ihnen sagte. »Ich persönlich garantiere Ihnen vollste Zufriedenheit. Ich lasse diese Leute auch für mich arbeiten, zu Hause in Marseille. Sie sind absolute Profis.«
Und als kleine Gratifikation, dachte Simon, als Angebot der Woche sozusagen, werde ich nicht in die Luft gesprengt, nicht entführt oder ausgeraubt. Klingt wie die Chance des Lebens, die man nicht verpassen sollte. Simon fühlte sich, als ob er einem Bankmanager gegenüber säße, der direkt der Hölle entsprungen war.
»Ich glaube, ich trinke noch einen digestif, Enrico. Sie auch?«
»Einen vieux marc; vielleicht. Réserve des Légats, wenn Sie den haben, aus Châteauneuf. Wie Sie sehen, bin ich ein hiesiger Geschäftsmann. Ich fördere die einheimische Wirtschaft.« Das Lächeln auf Enricos Gesicht wurde noch um ein paar Millimeter breiter. »Und das Mittagessen bezahle ich. Ich bestehe darauf.«
»Jeder muß profitieren, stimmt’s?«
»Ganz genau, mein Freund. Jeder muß profitieren.«
Jojo fuhr den Lieferwagen rückwärts auf den Parkplatz gegenüber dem Hotel und stellte ihn neben einem großen schwarzen Mercedes ab. Der Chauffeur, ebenfalls groß und schwarz, wandte den Blick nicht von Jojo, der die Autotür vorsichtig aufmachte, um die makellose Karosserie des Mercedes nicht zu beschädigen. Er war erst heute morgen auf Hochglanz gebracht worden — so wie jeden Morgen. Die beiden Männer nickten sich zu, und Jojo überquerte die Straße. Den Umschlag hielt er behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger, damit er nicht schmutzig wurde, und bevor er hineinging, klopfte er seine Stiefel auf dem Gehsteig sauber.
Aus persönlichen Gründen, die Jojo lieber für sich behielt, ging er immer gerne ins Hotel. Deshalb hatte er sich auch sofort freiwillig gemeldet, als Fonzi Simon eine Rechnung zukommen lassen wollte. Während er in der menschenleeren Rezeption herumschaute, tippte er mit der Umschlagkante gegen den Handrücken. Niemand zu sehen, nur Françoise telefonierte im Büro. Er ging hinaus auf die Terrasse und hoffte, dort vielleicht Madame Pons zu treffen, deren majestätische Fülle ihn in seinen Träumen gar nicht mehr losließ.
Sein Blick wanderte zwischen den Tischreihen umher. Vielleicht tränk sie gerade einen digestif mit einem Gast, um sich ein wenig von der Hitze der Küche abzukühlen. In Gedanken stellte er sich ihren Körper als weiches fleischiges Kissen vor, eingehüllt in einen zarten Mantel aus Schweiß. Er hielt sich die Hand vor die Augen zum Schutz gegen die Sonne und um die beiden Männer an einem der Tische besser zu sehen. Es war der patron, der Engländer, dessen Jacke lässig über den Stuhl gehängt war. Und neben ihm... Jojo sah ein zweites Mal hin, um sich zu vergewissern, denn der
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