Hotel Pastis
Andeutungen darauf hingewiesen, daß es ein Fehler wäre, Enrico zu enttäuschen, der am Erfolg des Hotels doch ein persönliches Interesse hatte. »Ich habe mich sehr darauf gefreut«, erwiderte Simon. »Was möchten Sie trinken? Ein Glas Champagner vielleicht?«
Enrico faltete die Hände auf dem Tisch, kurze Stummelfinger mit funkelnden, frisch manikürten Nägeln. Seine dünne goldene Armbanduhr, die von der dichten Behaarung seiner Handgelenke überwuchert wurde, war durch die Ärmel seines cremefarbenen Seidenhemds halb verdeckt. Der Anzug, ebenfalls aus Seide, war von dunkler Farbe, blau, wie man es häufig hei Geschäftsmännern sieht. »Ach, ich bin ein Marseiller«, antwortete er. »Ich möchte eine pastaga. Ricard.«
Simon bestellte zwei pastis und dachte einen Augenblick nach, welche Konversationsthemen dem Lunch mit einem Gangster angemessen waren. Neue Methoden der Erpressung vielleicht? Oder die unverschämte Steigerung des Kokainpreises? Oder die Auswirkungen der Inflation auf den Bestechungsmarkt? »Tja«, sagte er dann, »ist es nicht ein wunderbarer Tag?«
Enrico verzog den Mund zu einem Lächeln. Seine Augen flogen emsig zwischen Simon und den Tischen auf der Terrasse hin und her, wo sich allmählich immer mehr zwanglos gekleidete Gäste einfanden, die sich vom Schwimmen im Pool ausruhen wollten. »Ein sehr vorteilhaftes Wetter«, erwiderte er. »Das schöne Wetter lockt den Leuten das Geld aus der Tasche.«
Die Getränke kamen, und Enrico hob das Glas auf die Zukunft des Hotels. Die Narbe an seinem Hals nahe der Halsschlagader bewegte sich, als er den ersten Schluck machte, und Simon mußte sich beherrschen, nicht immer wieder hinzustarren.
Enrico zündete sich eine Zigarette an, sog den Rauch ein und ließ ihn in dicken Schwaden aus dem Mund quillen. Er lehnte sich zurück. »Monsieur Shaw, ich komme zu Ihnen als ein Freund, als einer, der möchte, daß Ihre harte Arbeit Früchte trägt, daß Ihre Investition sich auszahlt.« Er nickte und nahm einen Schluck. »Sicherlich eine große Investition.«
Simon gab sich Mühe, einen unbeteiligten Eindruck zu machen, und zuckte mit den Schultern. »Nichts, was gut ist, ist heutzutage billig.«
»Richtig. Und als Geschäftsmann wissen Sie, daß man solche Kapitalanlagen schützen muß.«
Das ist es also, dachte Simon. Er war erleichtert, als der Kellner mit der Speisekarte kam und er sich von dem lächelnden Mund und den starren Augen abwenden konnte. »Die Ravioli mit Käse und Spinat kann ich sehr empfehlen. Madame Pons macht die Nudeln selbst.«
Enrico studierte die Karte sehr genau, fast so, als ob er einen Vertrag prüfen müsse. »Ja.« Er nickte schließlich. »Ravioli, und danach Kaninchen mit Oliven. Und sicherlich gestatten Sie mir, daß ich den Wein spendiere. Ich habe eine Schwäche für Côte Rôtie.«
Bei 540 Francs die Flasche, dachte Simon, werde ich nicht streiten. Überhaupt erschien ihm der Gedanke, mit Enrico über ii’gend etwas zu streiten, nicht besonders angenehm. Dieser Mann hatte etwas Brutales an sich, trotz seiner manikürten Hände und der leisen Stimme, und Simon fragte sich, welche Art von Geschäft er schließlich vorschlagen würde. Verdammt! Da kommt man aufs Land, weil man sich nach einem friedvollen Leben sehnt, und dann endet es damit, daß man mit einem Killer in maßgeschneidertem Anzug Ravioli ißt. Enrico aß bedächtig und langsam und tupfte sich häufig mit der Serviette den Mund ab. Während sie auf den Hauptgang warteten, kam er auf die Schutzmaßnahmen für Kapitalanlagen zurück. Ob Simon zufällig die Geschichte des Deux Garçons in Aix gehört habe? Man hatte Dynamit in den Toiletten gefunden, und zwar soviel, daß man das Café und den halben Cours Mirabeau damit hätte in die Luft jagen können. Komplikationen wie diese machten ein Geschäft in der Provence zu einem wahren Vabanquespiel. Stellen Sie sich vor, da investiert man viele Millionen Francs, und dann... Enrico schüttelte traurig den Kopf angesichts der Untiefen menschlichen Verhaltens. Doch seine Stimmung hellte sich auf, als das Kaninchen kam und er den Duft einsog, der von seinem Teller aufstieg. »Ja«, sagte er, »die Sauce ist so, wie sie gehört, mit Blut eingedickt.«
Simon schwand der Appetit, als Enrico fortfuhr, in aller Seelenruhe über Raub, Verstümmelung und unaufgeklärte Fälle von Verschwinden zu sprechen und dazwischen immer wieder die Küche und den Wein zu loben, ohne auch nur den Tonfall seiner Stimme zu
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