Hotel Pastis
nicht länger. Danach waren alle Zimmer belegt.
»Ich gäbe viel darum, wenn ich deine Gedanken lesen könnte, lieber Junge.«
»Ich überlege, wo wir dich unterbringen könnten. Wie lange hast du vor zu bleiben?«
Murmelnd tat Onkel William seine Begeisterung kund, als sie an einem Sonnenblumenfeld vorbeifuhren, in Reih und Glied stehende hell leuchtende Blütenköpfe, die alle in dieselbe Richtung blickten, als ob jede Pflanze einzeln aufgestellt worden wäre. »Wer weiß? Einen Monat? Ein Leben lang? Denk nur mal daran, wie viele Jahre Cézanne damit verbracht hat, den Sainte-Victoire zu malen.« Er machte eine ausladende Handbewegung mit der Zigarre. »Diese herrliche Landschaft — der Felsen, die Oliven, die grünen Reben — das muß man langsam und in kleinen Schlucken genießen wie guten Wein, nicht in einem Zug hinunterstürzen. Der Wechsel der Jahreszeiten, da bin ich ganz sicher, wird mich unendlich inspirieren.« Er beugte sich vor und tätschelte Simons Knie.
»Und dann die Freude, einen lieben Menschen um sich zu haben.«
»Das habe ich befürchtet«, murmelte Simon und stieß einen tiefen Seufzer aus.
Onkel William war natürlich entzückt von dem Hotel, und da er nicht dumm war, erkannte er augenblicklich, daß Ernest einen unschätzbaren Verbündeten abgeben würde. Kaum war er eine Stunde da, schlug er vor, ein Porträt von ihm anzufertigen. »Ein klassischer Kopf«, meinte er. »Er erinnert mich an römische Kaiser.« Und als er auch noch darauf bestand, daß Mrs. Gibbons — Ernest zu Füßen liegend — mit auf das Bild sollte, bestand kein Zweifel mehr, daß er damit den Beginn einer engen Freundschaft begründet hatte. Der Goya von Norfolk war im Begriff, sich für den Sommer einzurichten.
20
D ie Radfahrer taten sich heute leichter. Ihre Beine bewegten sich wie Maschinenkolben in gleichmäßigem Rhythmus auf und nieder. Wenn man ihnen so zusah, wie sie sich die steile kurvige Straße nach Gordes hinaufarbeiteten, konnte man sich kaum die allerersten quälenden Trainingsstunden vorstellen, als die Muskeln noch schlaff waren und alle fluchten und husteten. Der General war zufrieden. Sie sahen aus wie tausend andere Radrennfahrer auch und konnten an einem sonnigen Morgen hundert Kilometer bewältigen, ohne daß man es ihnen anmerkte, außer daß sie klatschnaß geschwitzt waren.
Sie hatten eine lange Tour hinter sich, hinüber nach Isle-sur-Sorgue, hinauf nach Pernes, dann nach Venasque und Murs, hinunter auf die D2 und schließlich ein letzter Hügel, die Straße nach Gordes zurück. Sie sollten richtig Appetit bekommen auf das Essen, das der General in der Scheune für sie hergerichtet hatte.
Er hatte sich alle erdenkliche Mühe gegeben mit diesem Essen, hatte Stühle und einen Klapptisch aufgestellt, dazu einen Grill für die gambas und die dicken Scheiben gigot. Es gab Eiswürfel für den pastis und den Rosé, und ein Dutzend Flaschen Châteauneuf, die er eigens für den letzten Sonntag des Trainings aufgespart hatte; für diesen letzten Sonntag, den sie als arme Männer verbrachten.
Er war vorausgefahren, um den Grill anzuzünden und beobachtete nun, wie sich die Kohle in der flimmernden Hitze des Feuers langsam grau färbte. Jetzt schenkte er sich einen pastis ein, fügte Eis und Wasser hinzu und genoß wie üblich den Anblick der Flüssigkeit, die allmählich milchig weiß wurde. Dann hob er sein Glas und prostete im stillen dem Schutzheiligen der Bankräuber zu. Es gibt bestimmt einen, dachte er; in Frankreich gab es Heilige für alles und jeden. Bring uns Glück, wer auch immer du bist; heute in einer Woche wird die Beute verteilt.
Von der Straße her drang Murmeln und Gelächter an sein Ohr, und da kamen sie auch schon den Weg entlang und schoben ihre Räder, um die Reifen vor den scharfen Kieselsteinchen zu schützen, grinsten zufrieden und rieben sich den Rücken.
»Bravo, mes enfants! Wer will Wasser und wer pastis?«
Sie stellten sich um den Tisch herum und wischten sich mit ihren Baumwollmützen den Schweiß aus den Gesichtern. Jeder wollte als erster ein Glas.
»Heute«, sagte der General, »wird gegessen und gesoffen, und dann legen wir uns in den Schatten und schlafen unseren Rausch aus. Aber vorher zehn Minuten fürs Geschäftliche.«
Er wartete, bis alle etwas zu trinken und am Tisch Platz genommen hatten. Sieben finstere Gesichter sahen ihn an.
»Bon. « Der General zog sieben Paar dünne Gummihandschuhe und zwei Schlüssel heraus. »Wir
Weitere Kostenlose Bücher