Hotel Pastis
Gilles war sympathique und hatte schrecklich viel Verständnis für ihre zeitweiligen Geldnöte, aber dennoch, es war kein guter Start für eine Reise.
Der Sonntagmorgenverkehr floß reibungslos durch Cavaillon und über die Brücke, und auf der autoroute gab es keine Lkws. Nicole fuhr den Porsche in angenehmer Reisegeschwindigkeit und genoß die gute Paßform des Schalensitzes, den Geruch des Leders und die Art, wie der Wagen lange Kurven nahm. Es war das reinste Vergnügen im Vergleich zu ihrer kleinen Karre, die laut Duclos neue Reifen und weiß Gott was noch alles benötigte, wenn sie es noch ein weiteres Jahr machen sollte. Und dann waren da noch die Instandhaltungsarbeiten, die am Haus in Brassière durchgeführt werden mußten — lediglich Kleinigkeiten, die sich am Ende aber doch wieder auf Tausende von Francs belaufen würden — und die taxe d’habitation, die im November fällig war. Sie verbrachte ihr Leben damit, die Unterhaltszahlungen zu strecken, und selbst die waren gefährdet, seit ihr Exgatte nach New York gezogen war. Exgatten hatten nämlich die Angewohnheit, plötzlich in Amerika zu verschwinden. Sie kannte das, schließlich war es schon zwei ihrer Freundinnen so ergangen.
Sie hatte versucht, sich zusätzlich Geld zu verdienen. Da war der Job in der Boutique in Avignon gewesen, und als diese pleite gemacht hatte, hatte sie für einen Immobilienmakler gearbeitet, bis der einen Schritt zu weit gegangen war. Es war ihr gelungen, das Haus ein- oder zweimal in der Saison zu vermieten, und sie hatte ein bißchen in der Werbeabteilung eines Bauträgers gearbeitet, aber es war alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und sie hatte es satt. Sie hatte es gründlich satt. Und da sie bereits die Dreißig überschritten hatte, machte sie sich allmählich Gedanken. Die winzige Wohnung in Paris war schon übermäßig mit Hypotheken belastet, und sie würde entweder sie oder das Haus nächstes Jahr verkaufen müssen. Vielleicht war es das Beste, wieder nach Paris zu ziehen, auch wenn sie keine große Lust dazu hatte. Aber möglicherweise lernte sie dort wenigstens jemanden kennen. Ungebundene Männer waren dünn gesät in der Provence.
Sie trat auf das Gaspedal, um einen großen Renault zu überholen. Der Schub durch die Beschleunigung wirkte belebend, und ihre Stimmung schlug um. Es war ja geradezu morbid, sich immerzu vorzustellen, sie würde eines Tages als altes Weib mit einem Pudel in Paris leben. Irgend etwas würde sich schon ergeben. Schließlich war sie im Begriff, einen ungebundenen Mann in London zu treffen. Einen ungebundenen Mann, der sogar recht vielversprechend war.
Sie hatte im Wagen nach Spuren von ihm gesucht — nach einer Sonnenbrille, einem Pullover, einer Zigarrenkiste, einem Buch — , aber nichts gefunden. Das Auto war bestens in Schuß, kaum gebraucht, unpersönlich. Das gelegentliche Spielzeug eines reichen Mannes. Bei ihrem Telefonat hatte es fast so geklungen, als hätte er vergessen, daß er diesen Wagen besaß. Dennoch hatte er sich erfreut angehört, mit ihr reden zu können, herzlich und humorvoll, eben genauso wie damals, als sie zusammen zu Mittag gegessen hatten. Ein Franzose wäre entweder sehr formell oder zu intim geworden, er aber war — wie hieß noch das Wort, das die Engländer so häufig benutzten? — »nice«. Ja, sehr nett sogar. Sie beschloß, nicht in Paris zu übernachten, sondern bis Calais durchzufahren, so daß sie um die Mittagszeit in London sein würde.
Das Wetter in Dover sah ganz nach Regen aus. Nicole fuhr von der Autofähre hinunter und reihte sich in die Schlange vor dem Zoll- und Einreiseschalter ein. Sie nahm ihren Paß heraus und zündete sich eine Zigarette an, während die Autos Meter für Meter auf das grüne Signallicht zurollten.
Die beiden Zollbeamten, die auf der Windschattenseite des Gebäudes standen, blickten auf den Porsche, der schwarz und glänzend zwischen den von der Reise verschmutzten Familienkutschen stand, und musterten die blonde Fahrerin. Der Morgen war langweilig gewesen, und eine hübsche Frau, die allein in einem teuren Wagen reiste — nun, das könnte doch vielleicht eine Schmugglerin sein, nicht wahr? Die klassische Tour. Ein paar Kilo in der Tür Verkleidung versteckt. Einen Blick war es wert. Bestimmt war es einen Blick wert. Einer der Beamten schlenderte an der Wagenkolonne entlang und klopfte an Nicoles Fenster.
»Morgen, Madam. Könnte ich Ihren Paß sehen?«
Nicole reichte ihn durchs
Weitere Kostenlose Bücher