Hotel Pastis
verstehen, sie sollten anhalten.
»Wie weit noch?« Jean rieb sich die Hinterbacken, hustete und spuckte.
Der General stieg aus seinem Wagen. »Noch weit«, erwiderte er, »und so wie ihr fahrt, wird es euch doppelt so weit vorkommen. Habt ihr noch nie auf Fahrrädern gesessen?« Er ging zu Jojo. »Seht mal her.« Er verstellte die Sattelhöhe. »Ihr müßt auf beiden Seiten mit den Zehenspitzen den Boden berühren können, klar? Das Bein muß beim Abwärtstritt ausgestreckt sein. Sonst fahrt ihr, als hättet ihr nasse Hosen, wie unser Freund hier.« Er grinste zu Bachir hinüber.
»Als nächstes solltet ihr immer mit dem Fußballen in die Pedale treten, das heißt, ihr müßt die Rennhaken benutzen. Sie sollen verhindern, daß die Füße abrutschen. Wenn euch die Füße abrutschen, werdet ihr bald wunde Eier vom Sattel haben, das schwör ich euch. Und tretet weiter, wenn ihr schaltet. Sonst springt die Kette vom Zahnrad.« Der General zupfte an seinem Schnauzbart. Gab es sonst noch etwas? »Ach ja.« Er drohte Jojo mit dem Finger. »Es wird nicht geraucht.«
»Merde. Ich kann das Rauchen nicht aufgeben. Ich hab’s versucht.«
»Ich verlange ja nicht, daß du es aufgibst. Du sollst nur nicht beim Radfahren rauchen. Es sieht nicht professionell aus. Oder hast du etwa Lemond schon mal mit einer clope im Maul fahren sehen? Wenn wir unseren Coup starten, mußt du aussehen, als wärst du eins mit deinem Fahrrad. Verstanden? Du mußt aussehen wie all diese anderen fanatischen Kerle auch. Nur dann bist du unsichtbar.«
Jojo nickte. »Tout à fait«, erklärte er. »Unsichtbar.«
»Und reich«, fügte der General hinzu.
Als sie sich erneut auf den Weg machten, sahen sie schon weniger wie betrunkene Zirkusakrobaten aus, und der General fuhr langsam hinter ihnen her. Die ersten paar Touren würden die schlimmsten sein, überlegte er, wenn die Beine sich wie Pudding anfühlten und die Lungen brannten. Die Schwächeren würden sicher mit dem Gedanken spielen, aufzugeben. Jojo war gut, er war entschlossen und außerdem fit. Jean, der Taschendieb, hatte bis jetzt nicht viel gesagt, aber das tat er schließlich nie. Claude würde ein bißchen vor sich hinbrummeln, aber weitermachen. Die Brüder Borel, die gerade Schulter an Schulter nebeneinander fuhren, würden sich vermutlich gegenseitig Mut zusprechen, und Fernand war ein kleines zähes Scheusal. Bachir — nun, Bachir würde man ein bißchen gut zureden müssen. Er war an kurze, rasche Coups gewöhnt, zwei Minuten mit einem Messer und dann auf und davon. Hatte er genug Geduld und Ausdauer? Es war nicht sein Stil, neun Monate zu trainieren, zu warten und zu planen. Ja, eine kleine Sonderbehandlung für Bachir könnte nicht schaden, vielleicht sollte er ihn einen Abend zum couscous- Essen einladen und ein Gespräch unter vier Augen mit ihm führen.
Der General setzte zum Überholen an und musterte im Vorbeifahren die Gesichter. Allen war die Anstrengung anzusehen, aber keiner hatte bisher gekotzt, und Jojo zwinkerte ihm sogar zu, als der Wagen auf seiner Höhe war. Noch zehn Kilometer. Der General dirigierte sie auf eine leicht abfallende Seitenstraße und beobachtete sie im Rückspiegel, während sie hinter ihm im Freilauf führen und sich vom Lenker aufrichteten, um den Rücken zu entspannen. Gute Jungs. Die Sache würde laufen, er war sich ganz sicher.
Er war in die Straßenmitte geraten und mußte sich auf den Seitenstreifen quetschen, um dem schwarzen Porsche auszuweichen, der ihm entgegenkam. Hinter dem Steuer blitzte ein blonder Haarschopf auf, der Auspuff dröhnte dumpf. Putain, schoß es ihm durch den Kopf, was für ein Wagen. Eine halbe Million Francs mindestens, und dann noch ein paar Millionen für die Zusatzausstattung, das blonde Haar. Manche Männer hatten eben unglaubliches Glück.
Nicole nahm kaum Notiz von den merkwürdig gekleideten Radfahrern, als sie den Hügel hinauffuhr und der Straße nach Cavaillon und zur autoroute folgte. Sie war immer noch etwas verärgert nach ihrer Auseinandersetzung mit Duclos in der Werkstatt. Der Kerl hatte sich geweigert, ihr den Wagen auszuhändigen, bevor sie nicht an Ort und Stelle die Reparaturrechnung bezahlt hätte. Und was für eine Rechnung! Als ob das ganze Fahrgestell erneuert worden wäre, hatte sie zu ihm gesagt, während sie einen Scheck ausstellte, der zweifelsohne platzen würde, wenn sie nicht Monsieur Gilles von der Crédit Agricole anrief, sobald sie am Montag in London eintraf. Sicher, Monsieur
Weitere Kostenlose Bücher