Hotel Pastis
müssen, als Mitterrand erstmals an die Macht kam und niemand Investitionen tätigen wollte. Doch inzwischen war er sehr gefragt — manche meinten zu gefragt — wegen seines guten Geschmacks und seiner charmanten Art, sich herauszureden, wenn die tatsächlichen Kosten weit über den Schätzungen lagen. Er entschuldigte sich damit, daß er immer termingerecht arbeitete, und das war auch der Grund, warum Nicole sich für ihn entschieden hatte.
Sein langes, knochiges Gesicht unter dem braunen Haarschopf sprühte vor Munterkeit, als sie sich die Hände schüttelten. Jemand, der einem auf Anhieb sympathisch ist, dachte Simon, einer, der sich in einer Agentur gut für den Umgang mit Kunden eignen würde. Während sie das Haus besichtigten, redete er wie ein Wasserfall über die Lage des Hauses, den Ausblick, die Gestaltungsmöglichkeiten. Ein berufsmäßiger Enthusiast. Simon kannte diesen Menschenschlag und faßte Zuneigung zu dem Mann. Da er selbst Geschäftsmann war, sprach er auf die Geschäftstüchtigkeit anderer an.
Sie begaben sich ins unterste Stockwerk und stießen dort auf Ernest, der die Raummaße abschritt und mit dem Fuß Linien auf dem Kiesboden zog. Als er Simon erblickte, hielt er inne. »Haben Sie dieses Deckengewölbe gesehen? Was für ein herrliches Eßzimmer könnte das werden! Ich sehe es förmlich vor mir. Wie reizvoll, und mit dem Ausblick...«
»Ern, darf ich Ihnen den Architekten vorstellen? Monsieur Blanc.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände und nickten einander zu wie zwei linkische Störche.
»Enchanté. C’est monsieur ...?«
»Ärnest«, ergänzte Ernest.
Simon lächelte. Ärnest. Demnächst würde er mit einer Baskenmütze auf dem Kopf herumlaufen. Es war wohltuend, ihn so voller Begeisterung zu sehen.
Den übrigen Nachmittag verbrachten sie damit, langsam von Zimmer zu Zimmer zu gehen, wobei Blanc Notizen machte, Nicole übersetzte, Ernest bei jedem Vorschlag gurrte und Simon sich glücklich schätzte, daß sie so rasch voranzukommen schienen. Hoffentlich geht es auch so weiter, dachte er und gönnte sich ein wenig Optimismus. Warum eigentlich nicht? Sie würden alle auf die eine oder andere Weise davon profitieren, ohne gegeneinander zu konkurrieren. Allerdings nur, solange Ernest und Nicole zusammenarbeiten konnten — das war entscheidend. Er betrachtete die zwei — beide blond, beide elegant gekleidet — , wie sie lachten, als Ernest versuchte, dem Architekten einen komplizierten Sachverhalt in gebrochenem Französisch und Zeichensprache zu erklären. So weit, so gut.
Das Treffen endete mit allgemeinem freundlichen Lächeln, zuversichüichen Bemerkungen und Händeschütteln. Monsieur Blanc war, wie er sagte, >entzückt<, an solch einem faszinierenden Objekt und mit so reizenden Kunden arbeiten zu dürfen. Er würde morgen wieder in die gendarmerie kommen, obwohl Sonntag war, um genau auszumessen. Man dürfe keine Zeit vergeuden und müsse das Projekt mit größtmöglicher Geschwindigkeit vorantreiben. Mit einer schwungvollen Gebärde spannte er seinen Minischirm auf und verschwand im Schleier des Regens.
Die anderen folgten ihm und suchten Zuflucht in dem leeren Café, wo sie, nur einen Meter entfernt von der auf der anderen Seite des Fensters lauernden Tristesse, an einem Tisch Platz nahmen. Das junge Mädchen schob sich durch den Vorhang aus toten Würmern hinter der Bar und stellte Spekulationen über den Wert von Nicoles Kleidern an, während sie die Bestellung aufnahm.
Ernest tupfte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab und wischte mit dem Finger über jede Augenbraue, um eventuell verirrte Tropfen zu beseitigen. »Ich muß sagen, daß sich trotz des Regens vor meinem geistigen Auge etwas überaus Reizvolles abzuzeichnen beginnt. Ich bin keineswegs niedergeschlagen. Pas du tout .«
»Warten Sie, bis Sie erst die Aussicht sehen, Ern.« Simon wandte sich Nicole zu und strich ihr eine nasse Strähne aus der Stirn. »Nun, madame ? Meinst du, unser Architekt schafft es bis zum nächsten Sommer?«
»Blanc ist bekannt dafür, daß er pünktlich arbeitet«, meinte sie, »und daß er teuer ist. Aber wenn man mit zehn oder zwanzig Mann auf einem chantier arbeitet, oft sogar am Wochenende, dann kostet das eben.«
Das Mädchen brachte den Kaffee, lächelte Simon an und stolzierte mit wiegenden Hüften zur Bar zurück. Er nahm sich vor, ihren Vater bei seinem nächsten Besuch zu einem Drink einzuladen. Es war wichtig, ihn auf ihrer Seite zu haben, er durfte
Weitere Kostenlose Bücher