Hotel Pastis
sich nicht übergangen fühlen. In einem so winzigen Dorf sollte man es sich möglichst nicht mit dem Bürgermeister verscherzen.
Ernest tauchte einen Zuckerwürfel in seinen Kaffee und knabberte nachdenklich daran herum. »Nun, ich weiß wohl, daß dies ein wenig verfrüht ist, aber wir sollten es nicht bis zur letzten Minute aufschieben.« Er sah zu Simon und Nicole hoch. »Wie wollen wir dieses kleine Refugium von luxe und volupté nennen? Mon Repos? Das Brassière-Hilton? Wir brauchen einen Namen.«
Er hat recht, dachte Simon. Wenn sie im Frühsommer für das Hotel die Werbetrommel rühren wollten, brauchten die Zeitschriften schon Monate im voraus detaillierte Angaben — oder wenigstens einen Namen. Er versuchte sich an die Namen der Hotels in der Gegend zu erinnern, die er in den Reiseführern gelesen hatte. Es gab ein oder zwei Domaines, mehrere Mas, ein Bastide. Es wäre besser, sich mal etwas Neues einfallen zu lassen.
»La Gendarmerie?« schlug Nicole vor.
»Hmmm«, meinte Ernest. »Wir könnten die ganzen jungen Kellner in Polizeiuniformen stecken. Ganz förmlich, mit einem roten Streifen an den Hosennähten.«
»Konzentration, Ern. Schweifen Sie nicht ab.« Simon schüttelte den Kopf. »Nein, es müßte etwas mit der Provence zu tun haben, nicht nur mit Frankreich. Etwas Ausgefallenes, was man sich leicht merken kann.«
»Und was auch Ausländer leicht aussprechen können«, ergänzte Nicole.
»Genau. Etwas möglichst Kurzes. Es muß sich für ein gutes einprägsames Logo eignen.«
Nicole begriff nicht. Simon drückte ihre Hand und meinte: »Entschuldige, das ist Werbesprache. Darunter versteht man so eine Art Markenzeichen, und manche Namen eignen sich dafür besser als andere. Das ist eigentlich eine Nebensache, aber wir werden eine Menge Geld dafür ausgeben — Briefpapier, Servietten, Handtücher, Broschüren, Aschenbecher, Streichholzheftchen, Postkarten, der Schriftzug am Haus. Die meisten Hotels legen Wert auf einen kunstvollen Schriftzug, weil sie das für besonders elegant halten. Aber ich finde, wir sollten uns etwas Originelleres einfallen lassen.«
Ernest dachte laut nach. »Mal überlegen — Lavendel, Thymian, Rosmarin, das Licht, die Sonne — na, davon sollte man heute nicht unbedingt sprechen, aber man darf die Hoffnung nie aufgeben. Cézanne, Mistral, van Gogh...«
Nicole zuckte die Achseln. » Pastis ?«
Ernest beugte sich zu ihr vor. »Was?«
»Pastis. Er kommt aus der Provence, von nirgendwo sonst.«
» Pastis «, sagte Simon und wiederholte das Wort, wobei er das Endungs-s besonders betonte. »Pastis.«
Das Mädchen rief von der Bar herüber: »Trois pastis?«
»Wissen Sie«, meinte Ernest, »ich habe so was noch nie probiert.«
»Dann ist heute eben das erste Mal, Ern.« Simon nickte dem Mädchen zu. » Oui, merci .« Er betrachtete die hinter der Bar aufgereihten Flaschen. Wie in den meisten Cafés in Südfrankreich war auch diese gut bestückt mit pastis. Er zählte fünf Sorten: Ricard, Pernod und Casanis kannte er; die anderen beiden, Granier und Henri Bardouin, stammten vermutlich aus der Gegend, er hatte sie noch nie gesehen. »Das Wetter ist nicht gerade ideal für einen pastis «, meinte er. »Dazu müßte es heiß sein. So stelle ich ihn mir jedenfalls vor — das Getränk für Sonnenschein.«
Das Mädchen stellte drei Gläser auf den Tisch, dazu ein Schälchen mit Oliven sowie eine viereckige Glaskaraffe. Simon goß Wasser auf den pastis und beobachtete, wie die Flüssigkeit milchig-trüb wurde. Die Karaffe war alt und verkratzt, und in hellgelben Buchstaben auf kräftigem blauen Grund prangte der Name >Ricard<. »Seht euch diese Farben an«, sagte er. »Sonne und Himmel. Das steht doch für die Provence, nicht wahr?« Er schob die Karaffe über den Tisch zu Nicole. »Schau. Das habe ich mit dem Logo gemeint.«
Sie legte den Kopf schräg und betrachtete es eine Weile. »Da habt ihr euren Namen. Hotel Pastis. Mit diesem Gelb und diesem Blau.«
Simon lehnte sich zurück. Die Idee war so übel nicht; ein kurzer, einfacher Name, den man leicht im Kopf behalten konnte. Und jeder halbwegs gute Art-director konnte aus den Buchstaben bestimmt etwas Interessantes machen. Außerdem verband man den Namen mit der Provence. Nein, wirklich nicht schlecht. »Was meinen Sie, Ern?«
Ernest nahm einen Olivenkern aus dem Mund und legte ihn zu den anderen, die er vor sich aufgereiht hatte. »Hmmm. Immerhin könnte das sogar so ein Fremdsprachenkretin wie unser Mr. Jordan
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