Hotel Pastis
»Halten Sie ihr eine Hand hin, mein Lieber, damit sie sie beschnüffeln kann.« Zögernd streckte Simon eine Hand aus, die der Hund gründlich untersuchte, ehe er in den Wagen zurücksprang, sich auf dem Vordersitz einrollte und vor sich hin döste. Dabei hielt er ein wachsames Auge offen.
»Das ist doch kein Hund, Ern. Eher ein japanischer Ringkämpfer.«
»Der Schein trügt, mein Bester. Sie hat ein sehr sanftes Wesen. Meistens.« Ernest öffnete die hintere Tür und lud Simon mit einer schwungvollen Geste ein, auf dem Rücksitz neben dem Hundekorb Platz zu nehmen. »Auf nach Frankreich!«
Südlich von Paris, bei Fontainebleau, übernachteten sie und setzten am nächsten Tag frühmorgens ihre Fahrt fort. Der alte Wagen brachte es auf beständige hundert Stundenkilometer, der Motor brummte leise. Als sie den Midi erreichten, wurde der Himmel weiter und strahlender.
»Zur Cocktailstunde müßten wir in Brassière sein«, erklärte Ernest. »Efnd zufälligerweise habe ich erfahren, daß Nicole uns einen cassoulet zubereitet hat.«
Simon beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Lehne des Beifahrersitzes. »Es freut mich, daß Sie und Nicole so gut miteinander auskommen.«
»Mein Guter, ich kann Ihnen gar nicht sagen, welche Wohltat sie im Vergleich zu ihrer verwegenen Vorgängerin ist. Übrigens, haben Sie ihr gesagt, daß Sie abreisen?«
Simon hatte beschlossen, Caroline nichts zu sagen, bis er sicher in Frankreich war. Wenn sie erfahren hätte, daß er den Geltungsbereich der englischen Rechtsprechung verließ, hätte sie ihm ihre Anwälte auf den Hals gehetzt. »Nein. Ich habe mir überlegt, daß ich ihr eine Nachricht zukommen lasse, daß sie sich wegen der Unterhaltszahlungen keine Sorgen zu machen braucht. Sie hat keinen Grund, sich zu beschweren.«
Ernest schnaubte geräuschvoll durch die Nase. »Deswegen hat sie sich trotzdem ekelhaft benommen. Eine äußerst verzogene junge Frau, wenn Sie mich fragen.« Er scherte aus, um einen mit Schafen vollgepferchten Viehtransporter zu überholen. »Sie wird neugierig werden, wenn sie davon erfährt. Bestimmt kommt sie, um sich selbst ein Bild zu machen, die kleine Madame, die ihre Nase in alles stecken muß.«
»Da haben Sie sicher recht.« Simon betrachtete die felsige, graugrüne Landschaft und fühlte sich plötzlich sehr müde. Die letzten Wochen waren nicht einfach gewesen, und nun, da alles überstanden war, wollte er sich nur noch fallenlassen und mit Nicole zusammensein. Allmählich wurde ihm der Gedanke vertraut, daß sie sein eigentliches Zuhause war. »Können Sie aus dieser alten Kiste nicht noch ein paar Stundenkilometer mehr herausholen?«
Kurz nach sechs trafen sie in Brassière ein. Nicole kam heraus, um sie zu begrüßen, und rieb sich die Arme vor Kälte. Sie trug Leggings und einen Pulli aus dünner schwarzer Wolle, dazu eine kleine, völlig unpraktische weiße Schürze. Simon hob Nicole hoch und liebkoste ihren Hals. Ihre Haut war warm von der Küche. »Paß auf, daß sie dich mit diesen Klamotten nicht verhaften. Wie geht’s dir?«
»Willkommen zu Hause, chéri.« Sie lehnte sich in seinen Armen zurück und betrachtete sein Gesicht, doch plötzlich riß sie die Augen auf, als sie ihm über die Schulter blickte. »Meine Güte, was ist denn das?«
Mrs. Gibbons feierte ihre Ankunft mit der Erforschung der diversen Gerüche vor Ort. Mit schwankendem, o-beinigem Seemannsgang und eigentümlich abgespreiztem Schwanz wackelte sie vom Laternenpfahl zur Mülltonne. Erstaunt beobachtete Nicole, wie der Hund eine geeignete Stelle suchte, um sich zu erleichtern, und dabei die große platte Schnauze in die Abendluft reckte.
»Das«, erklärte Simon, »ist Mrs. Gibbons. Recht ungewöhnlich, nicht wahr?«
Nicole schüttelte lachend den Kopf. Ein potthäßliches Tier, dachte sie, ein Scherz der Natur. Sie küßte Simon auf die Nase. »Du bekommst erst was zu trinken, wenn du mich runter läßt.«
Der Wagen wurde ausgeladen, und als sie sich mit einer Flasche Rotwein vor den offenen Kamin setzten, informierte Nicole sie über den Stand der Dinge. Die Neuigkeit vom Hotel hatte sich weit über das Dorf hinaus verbreitet, dank des téléphone arabe — des Klatsches im Café und in den Geschäften. Mittlerweile kam jeden Tag jemand, der ihr das eine oder andere Angebot machte: eine Arbeitskraft, einen Rabatt auf Fleischwaren, eine außergewöhnliche Gelegenheit zu einem Antiquitätenkauf, einen Reinigungsdienst für den Swimmingpool,
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