Hotel Pastis
Fest gewesen, und in zwei Tagen war Weihnachten.
Simon hatte sich für seinen Anruf einen ganz bestimmten Zeitpunkt ausgewählt: Es war Heiligabend; Jordan war jetzt seiner Schätzung nach bereits beim zweiten Gin gelandet und blies Trübsal, weil er die nächsten paar Tage mit den Schwiegereltern verbringen mußte.
»Hallo?« Jordans Frau war am Telefon und versuchte mit ihrer Stimme das Hundegebell im Hintergrund zu übertönen. »Percy, sei still. Hallo?«
»Louise, ich hoffe, ich störe nicht. Hier ist Simon Shaw.«
»Simon, wie geht’s? Frohe Weihnachten. Percy, geh und such deinen Pantoffel, um Himmels willen. Entschuldigen Sie, Simon.«
»Auch Ihnen frohe Weihnachten. Ob ich wohl ganz kurz mit Nigel sprechen könnte?«
Simon hörte, wie Percy gescholten wurde, dann Schritte auf einem Holzboden.
»Simon?«
»Nigel, tut mir leid, wenn ich störe, aber es ist wichtig. Könnten Sie zu einer Sitzung am siebenundzwanzigsten nach London kommen? Es ist mir wirklich höchst unangenehm, aber..«
»Mein lieber Freund...« Jordans Stimme ging in einen Flüsterton über, »... nur unter uns gesagt, es gibt nichts, was ich lieber täte. Worum geht es?«
»Gute Nachrichten. Am besten, Sie holen mich am Morgen in der Rutland Gate ab, und wir fahren dann gemeinsam weiter. Wie läuft das Auto?«
»Spitze, alter Junge, absolute Spitze.«
»Also dann, bis zum siebenundzwanzigsten. Ach ja, und frohe Weihnachten.«
Jordan ließ ein Schnauben hören. »Davon kann keine Rede sein, außer ich lasse mich vollaufen.«
»Zyankali wäre nicht schlecht, habe ich gehört. Viel Spaß!« Simon legte auf und schüttelte amüsiert den Kopf. Weihnachten im Familienkreis — dabei mußte er immer daran denken, was Bernhard Shaw über die Ehe gesagt hatte. Wie war das noch? Der Triumph des Optimismus über die Erfahrung? Alle, die er kannte, sahen Weihnachten jedes Jahr mit der gleichen pflichtschuldigen Beklommenheit entgegen, so wie auch er früher, als seine Eltern noch gelebt hatten. Gezwungene Fröhlichkeit, dazu früher oder später Alkohol, führten unweigerlich zu Reizbarkeit und Streit, darauf folgte Bedauern, darauf Silvester und die erneute Gelegenheit, alles wieder von vorn anzufangen. Kein Wunder also, daß der Januar ein schlimmer Monat war.
Doch als die kurze französische Weihnacht vorüber war, mußte er zugeben, daß sie ihm gefallen hatte. Mit Nicole und Ernest hatte er draußen auf der überdachten Terrasse gesessen, warm eingepackt in Schals und Pullover. Sie hatten stundenlange Spaziergänge in der rauhen Landschaft hinter dem Dorf gemacht und waren, benommen von der frischen Luft und dem schweren Rotwein, früh zu Bett gegangen. Den nächsten Tag hatten sie in der gendarmerie verbracht und die Pläne durchgesehen, bis es schließlich Zeit war, zum Flughafen aufzubrechen, um die Abendmaschine nach Heathrow nicht zu verpassen. Als er mit Ernest das Dorf verließ und ins Tal hinunterfuhr, wurde sich Simon bewußt, daß er noch nie einem neuen Jahr mit soviel Vorfreude und Erwartung entgegengesehen hatte.
London war tot, die ganze Stadt saß im Stumpfsinn des zweiten Weihnachtsfeiertages erstarrt vor dem Fenseher. Die Wohnung in der Rutland Gate kam Simon fremd vor, und er verbrachte einen unruhigen Abend. Voller Sehnsucht dachte er an Nicole, und es fiel ihm schwer, sich auf seine Unterlagen für die Sitzung am folgenden Tag zu konzentrieren. Er wünschte, sie wäre schon vorüber, und er könne in das warme Häuschen auf dem Hügel zurückkehren. Der größte Kulturschock für ihn würde sicher Ziegler sein.
Er wachte früh auf, inspizierte den leeren Kühlschrank und ging nach draußen, um irgendwo zu frühstücken. Die Sloane Street lag still und trübe da, einige der Läden waren zum Äußersten entschlossen und boten ihre Waren schon zu Sonderpreisen an. Als er an der Armani-Boutique vorbeikam, fiel ihm Caroline ein, und er fragte sich, wo sie wohl Weihnachten verbracht hatte. Wahrscheinlich in St. Moritz, denn dort konnte sie sich viermal am Tag umziehen und sich unter den europäischen Jetset mischen.
Er ging ins Carlton Tower Hotel und betrat den Speisesaal, in dem sich normalerweise Herren in Geschäftsanzügen tummelten, die ihre erste morgendliche Sitzung absolvierten. Doch an diesem Tag waren dort nur Japaner und Amerikaner, die ihre Reiseführer studierten, während sie versuchten, die Köstlichkeiten des englischen Frühstücks zu bewältigen. Simon bestellte Kaffee und vertiefte sich in
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