Hotel Transylvania
der Kerzen auf dem Sims. »Ist es so ernst, Saint-Germain?«
»Ich fürchte schon.« Er blieb stehen und musterte sie. »Saint Sebastien hat vor, sie zu töten. Und das ist noch das Wenigste.«
Claudia hob die Hand an den Mund. »Aber sicherlich ...«
»Und wenn Ihr ihr helfen wollt, müsst Ihr einige Besorgungen machen.«
Sie nickte. Die plötzliche Strenge in Saint-Germain beunruhigte sie. Er hatte stets eindringlich gewirkt, doch hatte sie sich immer gesagt, dass es nur so ausgesehen habe. Doch jetzt erblickte sie seine Kraft ohne die höfische Fassade, und sie erkannte, dass er stärker war, als sie es je gedacht hatte. »Sagt mir, welche, Comte. Ich werde für meine Nichte alles tun, was in meiner Macht steht.«
»Gut. Zuerst müsst Ihr einen Boten in la rue de Ecoulè-Romain zu einem Arzt namens André Schoenbrun schicken. Er ist in der medizinischen Kunst so bewandert wie kein Zweiter, und er ist sehr, sehr verschwiegen. Ihr könnt Euch seiner Dienste nach Belieben bedienen und müsst nicht befürchten, dass sich missliche Gerüchte verbreiten.«
»Denkt Ihr, dass Madelaine einen Arzt benötigen wird?«
»Sehr wahrscheinlich. Sie wird zudem einen Priester brauchen. Wer ist ihr Beichtvater?«
»L'Abbé Ponteneuf. Er ist ein Cousin von uns.«
Saint-Germain runzelte die Stirn. »Ich habe gehört, wie sie von ihm gesprochen hat. Sie mag ihn nicht und befürchtet, dass er Dinge weitererzählt, die er nicht erzählen sollte. Wir werden einen anderen benötigen. Ich überlasse es Euch, einen Priester zu finden, möglichst einen jungen, der Mut hat und äußerst verschwiegen ist. So einen muss es in Paris doch geben.«
Claudia nickte benommen. »Einen Priester«, wiederholte sie.
Er hielt inne, als er seinen Umhang wieder festzog. »Ich kann nicht bleiben. Jede Minute, die ich zögere, vergrößert ihre Gefahr. Wenn Ihr Recht habt, werde ich Euren Bruder und Euren Gatten allein mit Madelaine am Hotel Saint Sebastien vorfinden, und wir werden vor Mitternacht zu Euch zurückkehren. Wenn es sich jedoch anders verhält, werdet Ihr uns vielleicht nicht vor Morgengrauen zu Gesicht bekommen. Wenn bis neun Uhr keiner von uns zurückgekehrt ist, sendet eine Nachricht an meinen Diener Roger. Ihm liegen meine Anweisungen vor.«
»Das werde ich«, sagte sie. Ihre Stimme klang fester als zum Zeitpunkt seines Eintretens. »Geht mit Gott, Saint-Germain.«
Saint-Germain hob die Brauen. »Mit Gott? Warum nicht?« Und dann schloss sich die Tür, und Claudia hörte die sicheren raschen Schritte, als er Hotel d'Argenlac verließ.
Ein Brief des Arztes Andre Schoenbrun als Antwort auf einen anderen der Comtesse d'Argenlac, datiert vom 5. November 1743:
Der Arzt Andre Schoenbrun aus la rue de Ecoulè-Romain sendet seine hochachtungsvollen Grüße an la Comtesse d'Argenlac und möchte sie davon in Kenntnis setzen, dass er ihre Nachricht vom frühen Abend erhalten hat, in der seine Anwesenheit in ihrem Hotel so rasch wie möglich gewünscht wird.
Unterfertigten Arzt freut es, la Comtesses freundlicher Bitte zu willfahren und sich ihr in der Stunde vor Tagesanbruch zu präsentieren. Zu jener Zeit würde unterfertigter Arzt es zu schätzen wissen, wenn la Comtesse ihn mit eingehenderen Informationen über die Art und Charakteristik der Krankheit oder Krankheiten, die er behandeln soll, versähe. Da die medizinische Kunst nun einmal solcher Art beschaffen ist, widerstrebt es unterfertigtem Arzt, blind vorzugehen.
Für den Fall, dass die Ängste von la Comtesse sich als grundlos erweisen, wird unterfertigter Arzt eine Pflegerin mit Erfahrung und frommem Wesen empfehlen, um über das erwähnte Opfer zu wachen. Oftmalig ist es die Seele, die stärker leidet als der Körper, ungeachtet der Tiefe der physischen Leiden. Bei mehr als einer Gelegenheit hat unterfertigter Arzt gesehen, dass ein Mann aus Angst oder Verzweiflung starb, die auf keinerlei körperliches Gebrechen zurückverfolgt werden konnte. Tatsächlich ist unterfertigter Arzt der Ansicht, dass allein Geist und Seele Schlagfluss und all seine Übel hervorbringen, denn unterfertigter Arzt hat festgestellt, dass solcherlei Fährnisse sich eben dann am häufigsten ereigneten, da das Opfer sich am cholerischsten gebärdete. Bei Frauen ist es anders. Allein Frauen von allerunterwürfigstem, bescheidenstem und sanftmütigstem Temperament fallen dem Schlagfluss zum Opfer. Derweil offene Feindseligkeit im Manne den Schlaganfall herbeiführt, erliegen Frauen dem Übel im
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