Hotel Transylvania
lagen auf ihren Gesichtern.
»Es gibt einen Ort, den Ihr sicher aufsuchen könnt.« Er hasste es, sich so zu exponieren. Er hatte sich in all seiner langen Lebenszeit durch Wissen und Umsicht am Leben erhalten. Aber er konnte nicht zulassen, dass die Gilde von der Justiz gefangen gesetzt wurde, denn das würde letztlich auch ihn selbst preisgeben. Und er konnte nicht zulassen, dass Saint Sebastien über Le Grâce Zugriff auf sie bekam, denn vom Zirkel ging weitaus größere Gefahr aus als von den schwerfälligen Truppen der Pariser Polizei.
»Welcher Ort?«, wollte Sattin wissen. Er empfand das plötzliche Zaudern des Prinzen als beunruhigend. Er musterte Saint-Germain, und die Verzweiflung verzerrte seine Züge in die Travestie eines Grinsens.
Mit einem schiefen Lächeln sagte Saint-Germain: »Ihr könnt in dies Kellergewölbe des Hotel Transylvania ziehen.«
Ein Brief von Mlle. Madelaine de Montalia an ihren Vater, le Marquis de Montalia, datiert auf den 19. Oktober 1743:
An meinen hochedlen und lieben Vater, Marquis de Montalia:
Es scheint kaum möglich, dass ich schon so lange von Zuhause fort bin, und dennoch, mein geliebter Vater, seid Ihr stets in meinen Gedanken und Gebeten. So prächtig die Stadt Paris auch ist, so ist sie doch nicht mit der Schönheit unserer Heimat vergleichbar. Ich bin oft zur Morgenröte erwacht und habe mich nach dem Ausblick auf unseren Park gesehnt, der sich wie ein gewaltiger grüner Rock ausbreitet und von diesen hübschen Waldrüschen gesäumt wird, wo unser Wildrevier ist. Sogar der Bois-Vert ist damit nicht zu vergleichen, denn ich bin mir stets bewusst, dass die große Stadt nur eine Reitstunde entfernt liegt.
Wie meine Tante Euch sicher schon berichtet hat, veranstalten wir am dritten November eine Fete, und wir sind bereits emsig mit Vorbereitungen beschäftigt. Nichts kann die mir entgegengebrachte Güte Eurer Schwester übertreffen, und ihr freundliches Herz und großzügiges Interesse lassen mich sie so sehr um ihrer selbst wie um unserer Blutsbande lieben. Und ich bin nicht die Einzige, die sie solcherart wertschätzt. An jedem Tag sehe ich Beweise ihres Wertes und der Zuneigung, in der sie allseits steht. Ihr sagtet mir, dass Ihr einige leise Vorbehalte hattet, mich zu ihr zu schicken, doch dafür kann es keinen ernstlichen Grund geben. Wohl ist es wahr, dass sie auf Großem Fuße lebt und ausgiebigen gesellschaftlichen Umgang Pflegt, aber das hat weder ihre Tugend noch ihre Geisteshaltung beeinträchtigt. Sie ist eine ausgezeichnete Frau, und Ihr solltet ihr dankbar sein, dass sie wünscht, mir in der Welt zur Seite zu stehen, denn ich habe schon einige gesehen, die dieses Vertrauen schamlos ausnutzen würden.
L'Abbe Ponteneuf erwies mir die Ehre, an meine Übungsstunde mit Saint-Germain in der letzten Woche teilzunehmen. Er ist ein würde voller Mann, voll von guten Ratschlägen und sich der Fallstricke der Welt ganz und gar bewusst. Wohl ist es wahr, dass er zu Zeiten zu sehr danach strebt, mich vor den Gefahren der Gesellschaft zu schützen und so sehr ich es auch versuche, kann ich ihn nicht überzeugen, mir doch zu sagen, was ihm Sorgen bereitet, damit ich vor diesen Gefahren besser auf der Hut sein kann. Seit unserer Übungsstunde habe ich von Saint-Germain nur wenig gesehen. Er hat mir einige Bücher zu lesen gegeben, einige von römischen Philosophen und vom erbaulichem Inhalt. Er hat mir zudem einige Bände aus dem Leben der Heiligen gegeben, damit ich mich vertrauter mache mit dem Opfern, die von uns im Leben verlangt werden. Seine Kenntnisse sind gewaltig und feinsinnig, und ich bin sicher, dass Ihr seine Gesellschaft als willkommene Abwechslung von dem eintönigen Geplapper empfändet, das in guter Gesellschaft nur allzu oft als Konversation durchgeht.
Morgen suchen wir das Hotel Transylvania für ein Konzert und ein kaltes Souper auf. Natürlich werden dort auch Glücksspiele abgehalten, aber sie geschehen in einem separaten Teil des Hotels, und man kann sie mit Leichtigkeit ignorieren.
Ich denke oft, lieber Vater, an die scharfen Kritiken, die Ihr mir bezüglich des
inhaltsleeren Lebens bei Hofe zu Gehör brachtet, und mein Aufenthalt hier bestätigt nur Eure Weisheit. Die meisten Menschen hier sind seicht, wissen nichts von der Welt außerhalb ihrer Kreise, sind nicht willens oder fähig, sich über ihre Umgebung zu erheben und die Vielfalt ihres Volkes zu erkennen. De la Sept-Nuit, der laut meiner Tante vielleicht um meine
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