Hotel Transylvania
begrüßen. Während er zu den großartigen altertümlichen Gesichtern aufsah, verspürte Saint-Germain einen Stich der Einsamkeit, als er sich daran erinnerte, wie hingerissen er gerade dieses Werk betrachtet hatte, als die Farbe noch ölig nass gewesen war und der Künstler selbst ihn gefragt hatte, ob auf der Gestalt des Sokrates auch wirklich das volle Gewicht des Verhängnisses laste. Damals und auch jetzt dachte Saint-Germain, dass der abgerissene, weitabgewandte, streitsüchtige alte Sokrates sich in der strengen Gestalt, die Velàzquez' Vorstellungskraft entsprungen war, niemals wieder erkannt hätte, aber er hatte darauf verzichtet, es dem großen Künstler auch zu sagen.
Mit langsamen Schritten begab Saint-Germain sich zum Souperzimmer. Als er über die Worte nachdachte, die Beauvrai an de la Sept-Nuit gerichtet hatte, ließ seine dadurch ausgelöste Unruhe nicht nach. Ihm fiel die Einladung wieder ein, die la Comtesse d'Argenlac ihm übersandt hatte, dass er sich ihrer Gruppe auf Sans Désespoir anschließen möge. Er hatte diese Einladung abgelehnt, weil er sich nicht mit der süßen unmöglichen Nähe Madelaines hatte in Versuchung führen wollen.
Ihr Bild erhob sich in seinem Geist, und er versuchte es fortzudrängen. Er konnte es sich nicht leisten, sie zu begehren, sich um sie zu sorgen, denn dieser Weg führte zur Entlarvung nicht nur für ihn, sondern auch für sie. Einen blendenden Augenblick lang sah er den grausamen Pfahl vor sich, wie er in Madelaines wundervollen Körper gedroschen wurde, und dieser Gedanke schmerzte ihn.
»Comte«, sagte eine Stimme in seiner Nähe. Rasch blickte er auf und sah plötzlich Claudia d'Argenlac, die am Arm von le Duc de la Mer-Herbeux auf ihn zu schritt. Sie war in eine mit Winden bestickte Grand Toilette aus blassgrünem Satin über einen Unterrock aus gerüschter österreichischer Seide gekleidet, mit Schleifen aus passender belgische Spitze in der Farbe englischer Rosen.
Saint-Germain fasste sich wieder und verneigte sich tief vor la Comtesse. »Ich bin entzückt, Euch zu sehen«, sagte er, und es entsprach beinahe der Wahrheit. »Ich werde nicht fragen, ob Ihr Euch wohl befindet, da Euer Aussehen mir alles verrät. Bei all Euren Plänen wäre ich nicht überrascht, Euch allein in einer Ecke zu sehen, wie Ihr Eure Kräfte für die Fete am Dritten sammelt.«
La Comtesse lachte fröhlich, und das Lächeln in ihrem Blick war fast so
strahlend wie das Leuchten von ihrem schweren Smaragdhalsband. »Oh nein, mein lieber Graf. Mein Gatte hat es arrangiert, dass wir morgen auf das Land reisen und dort kurz verweilen, derweil das Hotel für die Fete vorbereitet wird. Wenn Ihr uns während der letzten Tage häufiger aufgesucht hättet, wüsstet Ihr das.«
»Ich hatte Eure Einladung«, rief er ihr ins Gedächtnis und richtete seine Aufmerksamkeit auf le Duc. »Ich bin hocherfreut, Euch wieder in Paris zu sehen, mein Herr. Ich hoffe, dass Euer Ausflug nach London von Erfolg gekrönt wurde?«
»Nicht zur Gänze, Comte«, gab de la Mer-Herbeux zu. »Die Engländer sind stolz auf ihre Vernunft, doch in der österreichischen Frage zeigen sie sich einzigartig unvernünftig.«
Saint-Germain lächelte. »Ihr müsst ihnen verzeihen, de la Mer-Herbeux, wenn ihre Wünsche denen Frankreichs gelegentlich zuwiderlaufen.«
La Comtesse hob die Hände. »Ihr Herren, Ihr Herren, bitte, keine politischen Gespräche. Während der letzten Stunde habe ich nichts anderes gehört, und ich kann nicht einen weiteren Augenblick davon ertragen.« Sie lächelte Saint-Germain an. »Comte, ich weiß, dass Ihr mir beistehen werdet. Bringt Ihr mich zum Souper und erzählt mir Geschichten über irgendetwas, das nichts mit Politik zu tun hat.«
Saint-Germain hob die Brauen und sah le Duc an. »Darf ich die Ehre haben?«
De la Mer-Herbeux gab la Comtesses Hand an seinem Arm frei. »Unbedingt, Saint-Germain. Wenn ich nicht über Politik sprechen darf, fürchte ich, dass ich sie gar nicht unterhalten kann.« Er verneigte sich vor Saint-Germain, küsste die Hand von la Comtesse und zog von dannen, um sich Gesellschaft zu suchen, die seine Einstellung teilte.
»Ich dachte schon, dass ich ihm den gesamten Abend lang zuhören muss«, flüsterte la Comtesse Saint-Germain in offenkundiger Erleichterung zu. »Ich weiß, dass er für Frankreich große Dienste vollbracht hat, und ich weiß, dass der König von seinem diplomatischen Geschick ganz außerordentlich beeindruckt ist, und
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