Hotel van Gogh
zusammen, zum gegebenen Zeitpunkt werde ich sie einweihen. Sie ist eine bedeutende Persönlichkeit. Ihr Mann Massoud hält sich bei unseren Einheiten im Irak auf. Seit dem Einmarsch der Amerikaner haben wir allerdings den Kontakt zu ihm verloren.«
»Als Terroristen werdet ihr doch nun bei jedem Schritt beobachtet.«
»Wir sind keine Terroristen! Unser Kampf richtet sich ausschließlich gegen den Religionsfaschismus der Mullahs. Wir haben die Welt über das iranische Nuklearprogramm aufgeklärt. Man sollte uns dankbar sein.«
Ich lege meinen Arm um sie. Sie schmiegt sich an mich, ihre Nähe, unsere Körper eng beieinander. Wir blicken uns in die Augen. Ich spüre ihre Lippen auf meinem Mund, sanft wie ein Hauch. Ohne die Augen von mir zu nehmen, löst sie sich aus der Umarmung.
»Willst du mich immer noch?«
»Ziba, vom ersten Augenblick an wusste ich, dass wir zusammengehören. Ich werde dich nie aufgeben.«
Sie hat plötzlich Tränen in den Augen, aber im selben Moment lächelt sie. Unvermittelt blickt sie auf die Uhr.
»Ich muss zurück! Übrigens, mein Schwager plant etwas. Meine Trauerzeit ist zu Ende. Er ist unberechenbar.«
»Ein Grund mehr zum Handeln.«
Ohne darauf einzugehen, steht sie auf.
»Ich habe in der Bibliothek ein paar Sachen über Johanna für dich zusammengestellt. Wann willst du dir das ansehen? In den nächsten Tagen muss ich allerdings unsere Präsidentin bei einigen Protestveranstaltungen begleiten, aber danach? Ich verspreche dir, dass ich anrufe.«
Ich stehe vor einer dieser Kreuzungen, an denen das Leben auf einen Entscheidungspunkt zusteuert. Mit drei fertigen Manuskripten hat mein neues Leben eine Rechtfertigung. In meiner Beziehung zu Ziba deutet sich, wenn auch nur zaghaft, ein möglicher Weg an. Das Festhalten hat sich gelohnt, obwohl sich auch weiterhin der endgültige Ausgang nicht absehen lässt. Das gilt sowohl für Sarah wie auch für Ziba.
Warum spüre ich diese Angst vor einem Übermaß an Glück? Der Neid der Götter, früher oder später fordern sie von Sisyphos das Glück zurück und zwingen ihn erneut zu dem Punkt, an dem er schon immer war.
Und wenn die Götter mir nur einen Wunsch zugestehen, wie würde ich entscheiden? Ziba lebt, aber Sarah, nach unserem zähen gemeinsamen Ringen? Wenn nach mühsamem Aufstieg der Gipfel endlich zum Greifen nahe ist, gibt es kein Aufgeben. Das gilt auch für Sarah und Ziba. Es müssen beide sein, alles oder nichts!
An einem Abend komme ich nach Mitternacht von einer Einladung nach Hause. Nahe bei meinem Hauseingang kommt mir eine Frau entgegen, ihr Gesicht von einigen Narben gezeichnet, in sich versunken. Aber sie kommt mir bekannt vor. Sie muss meinen Blick bemerkt haben.
»Warum starrst du mich an? Was willst du von mir?«
Sie hat eine überraschend weiche Stimme, ich meine auch einen leichten Akzent herauszuhören.
»Entschuldige, ich habe dich mit jemandem verwechselt.«
Sie zuckt die Achseln, wirft mir einen ärgerlichen Blick zu und geht weiter. Im selben Augenblick erinnere ich mich: das Drogenmädchen aus dem Jardin du Luxembourg!
»Warte bitte, einen Moment!«
Sie bleibt stehen und blickt mich fragend an. Ich zögere, eigentlich habe ich sie nur ein einziges Mal gesehen. Aber es besteht kein Zweifel.
»Wir sind uns vor Jahren im Luxembourg begegnet.«
»Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich kann mich an vieles nicht erinnern. Haben wir miteinander was gehabt? Oder warum?«
»Nein, wir sind wortlos aneinander vorbeigegangen. Und nur dieses eine Mal. Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie du lebst, ich bin Schriftsteller und habe über dich ein Buch geschrieben. Es spielt in New York. Du siehst heute anders aus. Aber ich bin ganz sicher, dass du es gewesen bist.«
Sie schüttelt verwundert den Kopf, ohne den Blick von mir zu nehmen. Scheue blaue Augen, müde und stumpf. Fast unmerklich huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.
»Ein Buch über mich? Kann ich das Buch lesen?«
»Ich schreibe auf Deutsch, außerdem ist es noch nicht veröffentlicht.«
»Ich habe Germanistik studiert, bevor ich hierhergekommen bin. Ewigkeiten ist das her.«
»Du bist Deutsche?«
»Aus Göttingen. Als Studentin habe ich dort nebenher im Lektorat eines Verlags gearbeitet. Ich hatte gehofft, Romane zu schreiben, aber dann bin ich in Paris hängengeblieben. Jetzt putze ich nachts Büros. Aber ich lebe, und das stand auch längst nicht immer fest.« Sie antwortet mir auf Deutsch.
»Du kannst das Manuskript bei mir lesen. Ich
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