Hotel van Gogh
wohne hier gegenüber.«
Allerdings kommen mir sofort Bedenken, eine Fremde mitten in der Nacht in die Wohnung einzuladen. Aber wenn ich einem solchen Zufall nicht vertrauen kann, wem dann?
»Ich bin müde, vielleicht ein andermal.«
»Komm jederzeit vorbei. Rue Bonaparte 17, im dritten Stock. Übrigens, wie heißt du?«
»Justine, in meinem jetzigen Leben. Und du?«
»Arthur. Arthur Heller.«
Warum habe ich mir eigentlich nicht auch einen neuen Namen zugelegt? Mit meinem Umzug nach Paris habe ich alles sonst in meinem Leben auf den Kopf gestellt. Arthur Heller, das kommt mir mit einem Mal ziemlich normal vor und vor allem sehr alt.
Später stehe ich am Fenster und blicke auf die nächtlich verlassene Straße hinunter. Ich hätte ihr meine Telefonnummer geben sollen, anrufen ist doch einfacher als an der Tür eines Fremden zu klingeln! Ein Außenstehender, der endlich hier meine Manuskripte lesen könnte. Aber wahrscheinlich hat sie sich mit ihren Drogen sowieso das Hirn kaputt gemacht.
Unerwartet erhalte ich eine Nachricht von meinem Frankfurter Freund Michael. Er habe kürzlich den Verleger Dr. Zapf vom Zwei-Falken-Verlag getroffen und ihm von mir erzählt. Dr. Zapf sei bereit, mein Buch zu lesen, und überhaupt, woran ich denn momentan arbeite?
Michael hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können. Ich habe sofort ein gutes Gefühl. Der Zwei-Falken-Verlag wäre eine traumhafte Adresse.
Ich sende Dr. Zapf einen Einführungsbrief zusammen mit einer Beschreibung von Sarahs Paris .
Kurz darauf bittet er um das Manuskript.
Eine neue Phase des Wartens. Ich schlafwandle durch die Tage. Als ich mit ihr nicht mehr gerechnet habe, steht Justine plötzlich vor der Haustür. Sie sieht blass aus, obwohl ein wenig gepflegter als vor kurzem bei unserer Begegnung in der Nacht. Die Vergangenheit lässt sich nicht aus ihrem Gesicht löschen.
»Du musst das Manuskript hier lesen. Ich habe nur die eine Kopie.«
Sie blickt sich misstrauisch in der Wohnung um. Ich biete ihr zu essen und zu trinken an, aber sie interessiert sich nur für das Buch. Nachdem sie einige Seiten gelesen hat, bittet sie um einen Bleistift.
»Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich Anmerkungen mache.«
Ich stelle Justine meiner Hausgehilfin vor und lasse sie in der Wohnung allein. Als ich einige Stunden später wiederkomme, ist sie verschwunden. Außer den Anmerkungen in dem Manuskript erinnert nichts an ihre Anwesenheit, jedenfalls scheint in der Wohnung nichts zu fehlen. Sie hat in der kurzen Zeit knapp siebzig Seiten gelesen, ihre Korrekturen haben Hand und Fuß. Ich hätte gerne gewusst, was sie von dem Buch hält, ob sie sich darin wiedererkennt?
In mir wächst die Überzeugung, dass der Zwei-Falken-Verlag absagen wird. Von der steil ansteigenden Hoffnungskurve, als Central Park South bei der ersten Agentin landete, zu dem ebenso tiefen Absturz nach ihrem kläglichen Versagen. Danach eine Enttäuschung auf die andere. Und nun der Todesstoß durch Dr. Zapf?
Überraschend ruft Michael wieder an. Er habe mit Dr. Zapf bei einem gemeinsamen Abendessen über mein Buch gesprochen. Das sei ein gutes Buch, man müsse allerdings noch daran arbeiten, habe er gemeint. Als Michael sich erkundigte, wer denn sonst als Verleger in Deutschland für diesen Stoff in Betracht komme, meinte Dr. Zapf, damit solle man vorerst warten, er sei selbst interessiert.
Warum teilt er mir das dann nicht mit? Schließlich melde ich mich kurzerhand zu einem Besuch in Frankfurt an. Seine Entscheidung muss doch längst gefallen sein.
Mein Manuskript liegt als Einziges auf seinem Schreibtisch. Als gebe es für ihn nur dieses Buch.
»Selten erhalte ich ein Manuskript, das so weit gediehen ist.«
Wie zur Bekräftigung hebt er den Stapel mit beiden Händen hoch. Ich mache mich auf die Gründe gefasst, aus denen er das Manuskript trotzdem ablehne. Krampfhaft versuche ich, meine Unsicherheit zu überspielen, verdammt, ich als gestandener Geschäftsmann!
»Die Geschichte hat Hand und Fuß, sie ist gut aufgebaut, die Struktur stimmt. Allerdings muss an verschiedenen Stellen gestrafft, an anderen einiges präziser angesprochen werden. Gelegentlich müssen Sie deutlicher werden, wie im Film. Sie dürfen die emotionale Kontrolle nicht abgeben.«
Ich spüre, wie sich meine Beklemmung legt. Als er durch das Manuskript blättert, fallen mir seine handschriftlichen Notizen auf. Der Mann ist mir sympathisch, er dürfte in meinem Alter sein, da fällt es ihm sicher leichter,
Weitere Kostenlose Bücher