Hotel van Gogh
letzter Halt, sagt sie sich.
Bis ihr auffällt, dass sie ebenso auf Vincent angewiesen ist. Durch Vincent hat sie Theo wiedergefunden, durch ihn hält sie ihr Band zu Theo aufrecht. Wenn sie Vincent fallen lässt, wird sie Theo zum zweiten Mal verlieren.
Sie schreibt an Émile Bernard. Sobald sie etwas unternimmt, verfliegt ihre Schwermut. Vincent wird der Durchbruch gelingen, manchmal spürt man so etwas einfach. Es bedarf nur eines Blickes auf die sprühenden Farben überall im Haus! Mit diesem Gefühl kann sie nicht allein sein, andere müssen das Leben aus den Bildern doch auch spüren.
Émile antwortet sofort, dass er sich ihrem Anliegen verpflichtet fühle. Mit Andries als Außenseiter, das war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Émile ist mit jedem Detail des Pariser Kunstlebens vertraut.
Erneut muss sie warten. Sie begreift nicht, warum jeder Schritt so unendlich viel Zeit beansprucht. Zunehmend schwindet ihre Hoffnung. Als endlich der ersehnte Brief eintrifft, sind ihre Erwartungen so tief gesunken, dass sie eine weitere Ablehnung nicht mehr erschüttern kann.
Verehrte, liebe Jo,
zuerst möchte ich Ihnen nochmals für Ihr Vertrauen danken, dass Sie mich als Fürsprecher für meinen Freund Vincent in Paris ausgewählt haben. Er war mein Lehrer, ich habe ihn stets über alles verehrt und halte ihn für den bedeutendsten Maler unserer Zeit. Aber häufig bleibt gerade den großen Neuerern die Anerkennung verwehrt. So scheint auch Vincents Schicksal auszusehen. Leider muss ich Ihnen nach allem, was ich gehört habe, sagen, dass das tragische Ende von Vincent und Theo den Zeitpunkt für eine Ausstellung weit in die Ferne gerückt hat.
Jeder Galerist erwähnte, meist hinter vorgehaltener Hand, dass es schwer genug sei, die Impressionisten erfolgreich bei den Sammlern einzuführen. Sollten die Umstände von Vincents und Theos Tod einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden, würde dies wie ein Fluch alle anderen belasten.
Trotzdem schätzen ihn Galeristen wie Durand-Ruel und Bernheim-Jeune, was Sie daran sehen, dass sie sich seine Bilder für ihre privaten Sammlungen erstehen. Aus diesem widersprüchlichen Verhalten zeigt sich, dass Vincents Aussichten langfristig durchaus vielversprechend sind, kurzfristig die Situation hier in Paris sich allerdings als aussichtslos darstellt.
Sobald sich eine Änderung andeutet, werde ich mich melden.
Bis dahin verbleibe ich Ihr Ihnen stets freundschaftlich verbundener
Émile Bernard
Solange sie auf den Erfolg in Paris hoffte, fühlte sie sich von der Zuversicht der Farben Vincents beflügelt. Aber plötzlich dringen die Farben nicht mehr zu ihr vor. Theo und Vincent haben vergeblich auf sie gesetzt.
6.
Sabine hatte sich geschworen, nicht nochmals an diesen Ort zu kommen, und jetzt sitzt sie doch wieder auf dem harten Holzstuhl in der Amtsstube von Gendarm Crosnier. Mit Peter zusammen nimmt sich die Sache allerdings schon eher wie ein Abenteuer aus. Aber die Situation ist todernst, wo man sich hinwendet, gibt eine brüchige Wand nach der anderen nach. Was kann man überhaupt noch glauben? Und wem?
Der Nachahmereffekt hätte der Polizei das ideale Motiv für den Selbstmord geliefert. Der Fall wäre in die Akten gewandert. Mord und Totschlag lassen sich dagegen nicht so ohne weiteres abheften. War Heller schlicht am falschen Ort zur falschen Zeit?
Die Vorhänge vorgezogen, die Luft im Raum ist stickig. Wieder kleine Schweißperlen auf der Stirn von Crosnier.
»Heute wird die Anführerin der Exiliraner in Paris aus der Haft entlassen, sie und ihre engsten Gefolgsleute. Damit rollt der nächste Presserummel auf unseren Ort zu.«
»Sie spielen auf meinen Onkel an?«
»In gewisser Weise kommt das noch hinzu.«
»Das heißt, Sie sind mit der Untersuchung noch nicht weiter?«
»Der Fall wird wohl an die Kriminalpolizei in Paris abgegeben werden müssen, wir machen jetzt erst die Voruntersuchungen. Sie hatten mich am Telefon nach einer Frau namens Ziba gefragt. Eine Ziba Taleb gehört tatsächlich zu den Vertrauten von Maryam Radjavi. Sie wurde bei der Aktion in der Zentrale verhaftet und befindet sich seitdem in Polizeigewahrsam. Als mögliche Täterin scheidet sie aus.«
»Vielleicht gibt es mehr als eine Ziba.«
»Monsieur Dechaize hat uns inzwischen bestätigen können, dass Ihr Onkel Ziba Taleb, wie soll ich sagen, besser gekannt hat.« Crosnier untermauert seine Bemerkung mit einem leichten Augenzwinkern.
»Wurde sie schon zu der Tat vernommen? Ist sie
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