Hotel van Gogh
getrauert, auch jetzt nicht, sie empfindet allenfalls eine seltsame Betroffenheit. Anders als diese Frau, die ihm ihre Tränen nachweint und die, wie sie hofft, bei ihr Trost findet.
7.
Johannas Versuche, für Vincent in Paris etwas zu bewegen, sind kläglich gescheitert. Vincent und Theo und ihr Traum vom gemeinsamen Erfolg, den sie sich in den dunklen holländischen Nächten zurechtgestrickt hatte. Als Statthalterin der Brüder stand sie im Mittelpunkt dieses Traums, der sich wieder in ein qualvolles Nichts zerschlagen hat. Über ihr türmen sich die Wolken, die peitschenden Winde von der Nordsee, die Tage des ewig Gleichen. Ihr fehlt die Besessenheit, die Vincent und Theo beflügelt hatte. Sie ist wie alle anderen.
Gelegentlich zeigt die eine oder andere Galerie in Holland Interesse an Vincents Bildern, sie hat kleinere Ausstellungen in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag mit Leihgaben beschickt, aber jedes Mal kommen die Bilder unverkauft nach Bussum zurück. Und doch, völlig unbekannt ist Vincent in Holland nicht geblieben.
Beim Blick auf die zaghaften Fortschritte in seiner Heimat überkommt sie hin und wieder der Drang, einen allerletzten Versuch in Paris zu wagen. Die unruhig aufflackernde Hoffnung, das eintönige Dasein in dieser Provinz gegen das aufregend Neue von Paris zu tauschen. Aber es bleibt bei Träumen, verführt von den sprühenden Farben, die sie als einzige Erinnerung an die damalige Zeit umgeben. Die sie verflucht, wenn sie mit ihrem Schicksal hadert.
Die Einzige, mit der sie darüber spricht, ist Vincents und Theos Schwester Wil, die sie häufig in Bussum besucht, weil auch sie hier in den Bildern die Nähe zu ihren Brüdern verspürt.
»Vincent war im Kern bodenständig, seiner Heimat verhaftet. Er hat vor allem für die Menschen hier gemalt.«
»Du meinst, in Paris konnte man ihn nicht verstehen, weil sein Werk von Anfang an nicht für sie dort gedacht war?«
»So ähnlich. Um das Licht seiner Farben zu erfassen, muss man wie wir hier im Dunkel leben. Es hat nichts mit Wahnsinn zu tun, sondern allein mit seiner Herkunft. Wir spüren in der strahlenden Helligkeit seiner Bilder, was uns fehlt. Unsere Sehnsüchte spiegeln sich darin.«
»Vielleicht sollte ich mich dann mit dem in Holland Erreichten zufrieden geben!«
Aber sie ist nicht zufrieden. Immer wieder und ohne jede Vorwarnung überkommt sie eine schmerzende Unruhe.
Émile Bernard berichtet ihr aus Paris, dass der Galerist Ambroise Vollard mit einer Cézanne-Ausstellung große Erfolge gefeiert und sich bei ihm nach Vincent erkundigt habe. Was die Impressionisten ganz allgemein betreffe, so fülle Vollard die Leere, die Theos früher Tod hinterlassen habe.
Also doch! Cézanne, der den Impressionisten den Weg aufgezeigt hat, auf dem Vincent weiter nach vorn ins Unbekannte gestürmt ist. Der richtige Zeitpunkt, da allein liegt doch das Problem!
Kurze Zeit später erhält sie ein Schreiben von Vollard. Er plane eine erste Van-Gogh-Ausstellung und bitte um ihre Unterstützung. Bevorzugt Blumenbilder, denen er die besten Chancen einräumt. Johanna sendet ihm zehn Ölbilder und einige Zeichnungen. Vincents eigene Ausstellung in Paris, die ihm zu seinen Lebzeiten nicht vergönnt war. Und nun mit ihrer Hilfe!
Vergeblich wartet sie auf einen Zwischenbericht. Auch als sie nach einigen Monaten um Rücksendung der Bilder bittet, erhält sie keine Antwort. Erneut regen sich Wut und Misstrauen gegen den Pariser Kunstbetrieb in ihr. Auf Vollard ist so wenig Verlass wie auf alle anderen.
Nach acht Monaten berichtet ihr Vollard endlich, dass er ein Bild an einen Londoner Sammler verkauft habe. Sie mahnt umgehend den Verkaufserlös und die Rückgabe der anderen Bilder an. Drei weitere Monate vergehen, bis Vollard sich mit der Entschuldigung meldet, er sei umgezogen und habe sich räumlich erweitert, was seine Zeit in Beschlag genommen habe. Aber nun werde er sie besuchen, um Bilder für die nächste Ausstellung auszuwählen. Die erste Ausstellung sei immer ein Risiko, erst mit der zweiten fassten die Sammler Vertrauen. Sie kennt das von Theo, unbekannte Maler erfordern Geduld, hat auch er immer betont.
Vollard nimmt bei seinem Besuch über fünfzig Bilder und Zeichnungen mit. Ein Wagnis, natürlich, ihm zu trauen, nach der ersten Erfahrung. Aber er ist ihr einziger Zugang zu Paris.
Nach Vollards Erfolg mit Cézanne ist Vincent an der Reihe, genau wie es dem zeitlichen Verlauf des Impressionismus entspricht. Aber wieder erhält sie
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