House of Night 7. Verbrannt
erkennen, dass dein letztes Grauen darin liegt, mit welcher Leichtigkeit du diese ewige Pflicht auf dich nimmst und erfüllst.
Aber wisse: dann gibt es kein Zurück, denn eines wahren Wächters Gesetz und Los ist es, dass kein Grimm, kein Gräuel, kein Vorurteil oder Rachsucht, nur der eiserne Glaube an die Ehre dir Lohn sein kann. Du hast kein Anrecht auf Liebe, Glück oder Gewinn. Denn nach uns kommt nichts.« In Seoras’ Augen sah Stark unsterbliche, zeitlose Resignation. »In alle Ewigkeit wird dies deine Bürde sein, denn wer soll über einen Wächter wachen? Nun kennst du die Wahrheit. Entscheide dich, Sohn.«
Seoras’ Bild verblasste, und die Zeit kam wieder in Gang. Der Andere hockte vor ihm auf den Knien und sah zu ihm auf, in den Augen Furcht, aber auch Ergebenheit.
Den Tod in Ehren annehmen.
Während Stark es dachte, wurde das Heft des Claymore in seiner Hand wärmer, und ein Puls begann darin zu schlagen, der ein Echo seines eigenen Herzschlags zu sein schien. Er schloss auch die andere Hand darum und genoss das Gefühl.
Dann schien das Gewicht der Waffe eine selbständige Lebenskraft zu entfalten, die Stark auf wundervolle, schreckliche Art stärkte und mit Erkenntnis erfüllte. Ohne einen bewussten Gedanken, ohne jede Emotion ließ er die Klinge in einem mondsichelförmigen Bogen zum Todesschlag niedersausen. Mit einem üblen Krachen drang sie in den Anderen ein und teilte ihn sauber vom Scheitel bis zu den Lenden in zwei Teile. Ein Geräusch wie ein Seufzen erklang, und der Körper verschwand.
Da wurde Stark das Ausmaß seiner eigenen Brutalität bewusst. Er ließ das Claymore fallen und sank auf die Knie.
»Göttin! Wie konnte ich das tun und ehrenhaft sein?«
Schwer atmend kniete Stark da. Ihn schwindelte. Er sah an sich herunter in der Erwartung, überall klaffende Wunden und Blut – Unmengen von Blut zu sehen.
Aber er irrte sich. Er war frei von jeder physischen Wunde. Das einzige Blut, das er sah, war das, mit dem der Boden unter ihm vollgesogen war. Die einzige Wunde, die ihm blieb, war die Erinnerung daran, was er getan hatte.
Fast wie aus eigenem Willen fand seine Hand den Griff des großen Schwertes. Vor seinem inneren Auge sah er wieder den tödlichen Hieb, den er gerade geführt hatte, und seine Hand begann zu zittern, aber er packte den Griff fester, und da war Wärme und das Schlagen seines eigenen Herzens.
»Ich bin ein Wächter«, flüsterte er. Und mit diesen Worten konnte er sich endlich wahrhaft akzeptieren und – ja – verstehen. Es war nicht darum gegangen, das Böse in ihm zu töten; das war nie das Ziel gewesen. Es war darum gegangen, es zu kontrollieren. Das war es, was ein wahrhaftiger Wächter tat. Er verleugnete Brutalität nicht, sondern bediente sich ihrer auf ehrenhafte Weise.
Stark neigte den Kopf, bis seine Stirn auf dem Heft des Wächter-Claymores ruhte.
»Zoey, meine Eine, meine
bann ri shi’
, meine Königin – ich habe mich entschieden, all das anzunehmen und dem Pfad der Ehre zu folgen. Das ist der einzige Weg, wie ich zu dem Krieger werden kann, den du brauchst. Das schwöre ich.«
Noch während Starks Schwur in der Luft um ihn zu schweben schien, verschwand der Torbogen, der die Grenze zu Nyx’ Reich markierte, und mit ihm das Claymore. Stark blieb allein und waffenlos auf den Knien vor der ätherischen Schönheit des Wunschbaums bei Nyx’ Hain zurück.
Mühsam stand er auf und ging auf den Hain zu. Sein einziger Gedanke war, dass er sie finden musste – seine Königin, seine Zoey.
Aber im Näherkommen wurde er langsamer und blieb schließlich stehen.
Nein. Er ging die Sache schon wieder völlig falsch an.
Nicht Zoey musste er finden, sondern Heath. Aphrodite konnte eine Nervensäge sein, aber ihre Visionen musste man ernst nehmen. Was zum Teufel hatte sie gesagt? Irgendwas davon, dass Heath weiterziehen müsse, damit Zoey zurückkommen könne. Stark überdachte das. Sosehr es ihn schmerzte, es zuzugeben, er verstand, warum das, was sie gesehen hatte, stimmen musste. Zoey war mit Heath zusammen gewesen, seit sie Kinder waren. Als sie gesehen hatte, wie er starb, war ihre Seele so schwer beschädigt worden, dass sie in Einzelteile zersplittert war. Wenn sie nun hier gesund werden und weiter mit Heath zusammen sein könnte …
Stark sah sich um, und er konnte wahrhaft
sehen
.
Nyx’ Reich war atemberaubend. Obwohl von dem Hain nur der Waldrand dicht vor ihm zu sehen war, konnte er spüren, wie immens er war, und er wusste, dass
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