House of Night 7. Verbrannt
zögerlich.
Ich sah mich um. Wir saßen auf einer echt tollen grünen Wiese vor einem Steg, der auf einen See hinausführte, von dem man in der herrlichen Morgensonne hätte glauben können, er bestände aus blauem Glas.
Morgensonne?
Da stimmte was nicht.
Irgendwas stimmte hier überhaupt nicht.
Ich schluckte hart und sah dem Typen in die sanften braunen Augen. »Sag mir deinen Namen.«
»Heath. Ich heiße Heath. Du kennst mich, Zo. Du kennst mich schon ewig.«
Ich kannte ihn.
Wie beim schnellen Vorlauf einer DVD blitzten in meinem Gedächtnis Bilder auf: Heath, wie er mir in der dritten Klasse versicherte, dass meine abgesäbelten Haare süß aussahen – Heath, wie er mich vor der Spinne rettete, die im Beisein der gesamten sechsten Klasse auf mich gefallen war – Heath, wie er mich nach diesem Footballspiel in der achten Klasse zum ersten Mal küsste – Heath, wie er zu viel trank und ich sauer auf ihn war – wir beide, wie wir die Prägung miteinander eingingen … und die zweite Prägung … und schließlich mich, wie ich zusehen musste, wie Heath –
»Oh Göttin!« Die Eindrücke flossen zu einem Ganzen zusammen, und ich wusste es wieder.
Ich erinnerte mich.
»Zo«, er zog mich in die Arme, »alles ist okay. Alles wird gut.«
»Wie soll irgendwas gut werden?«, schluchzte ich. »Du bist tot!«
»Zo, Baby, so was kann passieren. Ich hatte fast gar keine Angst, und es hat nicht mal besonders weh getan.« Sanft schaukelte er mich und tätschelte mir den Rücken und redete mit seiner ruhigen, vertrauten Stimme mit mir.
»Aber ich erinnere mich! Ich erinnere mich!« Ich konnte nicht aufhören, auf unattraktivste Weise Rotz und Wasser zu heulen. »Kalona hat dich getötet. Ich hab’s gesehen. Oh Heath, ich hab versucht, ihn aufzuhalten. Ich hab’s wirklich, wirklich versucht.«
»Pssst, Baby, pssst. Ich weiß. Du hättest nichts tun können. Ich hab dich zu mir gerufen, und du bist gekommen. Du hast es genau richtig gemacht, Zo. Wirklich. Und jetzt musst du zurück und den Kampf gegen ihn und Neferet aufnehmen. Neferet hat diese zwei Vampyre aus deiner Schule umgebracht, diese Schauspiellehrerin und den anderen Kerl.«
»Loren Blake?« Vor Schock versiegten mir die Tränen, und ich wischte mir das Gesicht ab. Wie immer zog Heath ein paar zerknüllte Kleenex aus seiner Jeanstasche. Ich starrte sie eine Sekunde lang an und überraschte uns beide dann damit, dass ich in Lachen ausbrach. »Das ist doch nicht wahr! Du hast eklige benutzte Kleenex mit in den Himmel gebracht?« Vor Kichern konnte ich nicht weiterreden.
Er sah beleidigt drein. »Die sind überhaupt nicht benutzt, Zo. Also, wenigstens nicht sehr.«
Ich schüttelte den Kopf über ihn, nahm das Knäuel vorsichtig und wischte mir damit das Gesicht ab.
»Putz dir auch die Nase. Dir läuft der Rotz raus. Dir läuft immer die Nase, wenn du weinst. Deshalb hab ich immer Kleenex dabei.«
»Ach, sei still! So oft weine ich doch gar nicht.« Einen Moment lang vergaß ich ganz, dass er tot war und so.
»Schon, aber wenn, dann läuft dir tierisch die Nase, also bin ich lieber darauf vorbereitet.«
Da holte mich die Realität wieder ein. Ich starrte ihn an. »Und was passiert, wenn du nicht da bist, um mir Taschentücher zu geben?« Ein Schluchzen entschlüpfte meiner Kehle. »Und – und um mich immer daran zu erinnern, wie ein Zuhause ist? Wie die Liebe ist? Wie es ist, ein Mensch zu sein?« Und schon wieder heulte ich wie ein Schlosshund.
»Ach Zo. Das wirst du alles auch allein rausfinden. Du hast total viel Zeit. Du bist ’ne richtig krasse Vampyrhohepriesterin, weißt du noch?«
»Das will ich gar nicht sein«, erklärte ich aus tiefstem Herzen. »Ich will Zoey sein und mit dir hierbleiben.«
»Das ist nur ein Teil von dir. Hey, vielleicht ist es der Teil, der erwachsen werden muss.« Er sagte es ganz sanft, in einem Ton, der plötzlich viel zu alt und weise für meinen Heath klang.
»Nein.« Während ich das Wort aussprach, sah ich aus dem Augenwinkel eine flüchtige, tintige Dunkelheit vorbeihuschen. Mein Magen verkrampfte sich, und ich glaubte, die scharfen Umrisse von Hörnern zu erkennen.
»Zo, du kannst die Vergangenheit nicht mehr ändern.«
»Nein«, wiederholte ich und wandte den Blick von ihm ab. Als ich ihn über das schweifen ließ, was noch vor Sekunden eine wunderschöne, lichte Wiese vor einem herrlichen See gewesen war, sah ich dort, wo gerade noch nichts außer Blumen und Schmetterlingen gewesen war,
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