Hudson River - die Kunst, schwere Entscheidungen zu treffen
Reiseführer fehlt, könnten es gefüllte Ziegendärme sein. Geschäftsleute gehen mit dunklen Anzügen, weißem Hemd und schwarzen Schuhen auf Nummer sicher. Nicht, weil jeder von ihnen diese Uniform toll findet. Sondern, weil man sich damit nicht zum Deppen machen kann. Doch das Leben in der Mitte des Schwarms hat auch Nachteile.
Ein Leben ohne Chance auf Fehler ist wie eine Eiswüste. Nichts ändert sich. Alles bleibt so, wie es ist. Die hundert Meter Eispanzer werden auch in tausend Jahren noch genauso aussehen. Wenn jedes Risiko, einen Fehler zu begehen, ausgeschlossen ist, wird Entwicklung zum Fremdwort. Nur wenn du Fehler in Kauf nimmst, kannst du Erfahrungen sammeln und dich entwickeln.
Eigene
Erfahrungen für die
eigene
Entwicklung. Egal ob es Erfolge sind oder Rückschläge. Mit jeder gewonnenen Erfahrung stärkst du dein Selbstbewusstsein und dein Selbstvertrauen. Mit jedem Entwicklungsschritt wirst du dich immer mehr auf dein Bauchgefühl verlassen können.
Ratschläge anderer, Dos und Don’ts sind nur Erfahrungen aus zweiter Hand – vergiss sie! Du kannst zehnmal hören: »Das ist eine blöde Idee, lass das lieber!« – und trotzdem Erfüllung finden, indem du alte Zündapps restaurierst. Es kann natürlich auch sein, dass dir dein Plan um die Ohren fliegt. Aber dann hast du es wenigstens versucht und kannst aus eigener Anschauung sagen: »Das war nix.«
Gibt es denn für Risikofreude und die Lust an Erfahrungen keine Grenzen?
Fehler müssen im überlebbaren Bereich gehalten werden – nicht im schmerzfreien.
Wenn Eltern beobachten, dass ihr sechsjähriges Kind auf einen Baum klettert, müssen sie eine Entscheidung treffen. Es zurückhalten – »Tobi, komm da runter, du tust dir weh« – oder es seine Erfahrungen machen lassen. Dass sich das Kind den Hals bricht, können Eltern allerdings nicht riskieren. Deshalb bleiben sie in der Nähe und rufen es zurück, wenn es dabei ist, auf einen morschen Ast zu treten. Oder, wenn es noch unsicher ist, erlauben sie ihm nicht, höher als zwei, drei Meter zu klettern. Wenn es aus dieser Höhe herunterfällt, holt es sich ein paar blaue Flecken und allenfalls einen verstauchten Fuß. Und wird sich beim nächsten Mal geschickter anstellen. Sie sorgen mit ihrer Entscheidung also dafür, dass mögliche Fehler im überlebbaren Bereich gehalten werden. Nicht im schmerzfreien.
Und genau darum geht es.
Was aber passiert, wenn einer sich nicht dazu durchringen kann, Entscheidungen zu treffen, aus der Angst heraus, dass sie falsch sein könnten?
»Ich hab doch gar nichts gemacht, ich bin’s nicht gewesen!«, sagt der Copilot, dessen Flugzeug eine Bruchlandung hingelegt hat. Er hatte zwar die Warnsignale gesehen und gemerkt, dass der Pilot die Maschine nicht mehr im Griff hatte. Hatte auch vorsichtig angefragt, aber den Beteuerungen des Piloten, dass alles schon in Ordnung sei, nur zu gerne geglaubt. Eingelullt von dessen Ich-weiß-schon-was-ich-tue-ich-hab-alles-im-Griff konnte er sich nicht entscheiden, zu handeln und das Steuer zu übernehmen – so wie es seine Aufgabe gewesen wäre. Und nun wundert er sich, dass sie einen Vollcrash hingelegt haben.
»Ich hab doch gar nichts gemacht« – eben. Genau das ist der Punkt. Das ist das Mantra all jener, die sich vor Entscheidungen drücken und lieber die Hände in den Schoß legen, als einen Fehler zu riskieren.
Achte darauf, dass du deinen inneren Copiloten ernst nimmst. Geh in dich, hör auf das, was du dir selbst sagen willst. Frag dich: Bin ich überhaupt auf Kurs? Bin ich es, der mich steuert – oder sind es die anderen, müde Glaubenssätze oder irgendwelche Gewohnheiten? Und wenn du merkst, dass hier etwas gehörig schiefläuft, dann sag dir selbst: »My aircraft!«
Wenn nicht du es bist, der über dein Leben bestimmt, dann machen es eben andere. Und damit ist klar: Wenn du nichts machst, dann machst du auch nichts falsch – aber den Fehler deines Lebens.
KAPITEL 7
Gräber: Wo das Leben wohnt
»Der Schwache kann nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.« MAHATMA GANDHI
Kronleuchter, Spiegeltüren, kostbare Wandbemalungen, glänzendes Parkett – der Toscana-Saal in der Würzburger Residenz strotzt vor barocker Pracht. Vor zweihundert Jahren sind hier die Fürstbischöfe ein- und ausgegangen. Heute werden hier Empfänge abgehalten und Konzerte gegeben. Einige Fakultäten der Würzburger Universität nutzen den Raum für Vorlesungen.
Ich sitze zusammen mit dreißig, vierzig
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