Huebsch in alle Ewigkeit Roman
einen Stier erlegt?«
»Ach, Stiere erlege ich nur sonntags, heute habe ich eine andere Beute im Visier.« Er lächelt mich an. Ein ausgelassener Tänzer schubst mich von hinten, ich falle gegen Milo und er fängt mich auf. Ich möchte mich ein Leben lang an ihn anlehnen, schießt es mir durch den Kopf. Auch er findet den plötzlich herbeigeführten Körperkontakt offensichtlich nicht unangenehm, denn er legt seine Hand um meine Hüfte und zieht mich ein paar Schritte von der Tanzfläche weg an den Rand. Wir stellen uns an die Wand, und ich sehe, wie die Königin uns beobachtet, aber es ist mir egal, denn Milos’ Stimme klingt in meinem Ohr wie eine Zaubermelodie, die alles andere unwichtig macht. Ich hänge an seinen Lippen, sie sehen
so weich und sanft aus wie Daunenkissen. Er erzählt mir, dass er jetzt genug Geld zusammen hat, um seinen Traum vom Auswandern zu verwirklichen. Nein, denke ich erschrocken, geh nicht!
»Bist du schon mal gesurft?«, fragt er.
»Nein. Ich hab das nur im Fernsehen gesehen. Für mich sind das ja Wahnsinnige, die auf Riesenwellen gleiten und jederzeit vom Wasser zermalmt werden können.«
Er lacht. »Die Gefahr gehört dazu. Aber mir kann auch hier ein Stein auf den Kopf fallen. Und das Gefühl, die perfekte Welle zu erwischen, ist einfach unvergleichlich. Es gibt wirklich nichts, was da rankommt. Fast nichts.« Er streichelt mir über die Wange, und mir wird ganz anders.
»Ich war auch immer gerne am Strand«, sage ich wehmütig. »Am schönsten fand ich den Sonnenaufgang über dem Meer. Dieses Licht, das vermisse ich am meisten. Und die Luft.«
»Ja«, sagt Milo, »manchmal habe ich in der Stadt das Gefühl, als würde ich ersticken.«
»Kenne ich.«
»Und die Nächte sind auch ganz anders im Süden«, sagt er. »Wenn man nicht schlafen kann, legt man sich an den Strand und beobachtet die Sterne.«
»Es ist schon sehr lange her, dass ich das gemacht habe.« Ich seufze bei der Vorstellung, neben ihm am Strand zu sitzen, nach Sternschnuppen Ausschau zu halten und ihn in der Morgenröte zu lieben.
»Dann wird es wohl mal wieder Zeit.« Er lächelt mich an. »In Südspanien ist es jetzt schon zwanzig Grad.«
»Klingt super.«
»Dann komm doch mit«, sagt er und sieht mich an. Seine Zartbitteraugen fangen an zu schmelzen, und dann küsst er mich. Als sich unsere Lippen treffen, jagt eine elektromagnetische Welle durch mich hindurch, und ich habe fast das Gefühl, als könne ich mein Herz wieder schlagen hören. Ein unbeschreibliches Glück erfüllt mich. So lebendig habe ich mich noch nie gefühlt! Als wir uns voneinander lösen, fragt er: »Ist dir kalt?«
»Nein«, sage ich schnell und spule die übliche Ausrede für meine kalten Lippen ab. »Ich habe einfach eine niedrigere Körpertemperatur als andere. Ist eine Stoffwechselstörung.«
»Aha«, sagt er, »angenehm.«
Ich schmunzele. Das habe ich schon öfter gehört, wenn auch meistens weniger höflich (»Boah, geil, ey!«).
Milo deutet auf meine Zähne. »Überzeugendes Kostüm übrigens. Die sehen richtig echt aus.«
»Ist eine Spezialanfertigung«, murmele ich. Der DJ spielt »En unserem Veedel«, und um ihn vom Thema abzulenken, schlinge ich meine Arme um seinen Hals und sage: »Wollen wir tanzen?« Er nickt. Wir wiegen uns eng umschlungen zu der wunderschön melancholischen Melodie der Bläck Fööss. »Wat och passeet, dat eine es doch klor«, singen sie, »et Schönste, wat m’r han, schon all die lange Johr, es unser Veedel, denn he hält m’r zosamme, ejal, wat och passeet, en uns’rem Veedel.«
Als ich nach Köln kam, hatte ich das Vorurteil, kölsche Musik sei nur Tschingdarassabumm-Folklore. Aber dieses Lied von den Bläck Fööss geht einem wirklich nahe,
selbst wenn man nicht hier geboren ist. Ich schmiege mich an Milos kräftige Brust, lausche dem Takt seines Herzens, er hält mich mit seinen Armen fest, und der Moment ist einfach perfekt, gerne würde ich die Zeit für immer anhalten. Dann sehe ich aus dem Augenwinkel plötzlich den Batman. Auch er tanzt. Und als er sich dreht, sehe ich, mit wem. Vivian! Mir wird unheimlich warm, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, ich schwitze. Das darf doch nicht wahr sein! Ist ja schön und gut, dass an Karneval alles erlaubt ist, aber mit einem Mörder zu tanzen gehört doch wohl trotzdem nicht dazu. Und dann entdecke ich im Hintergrund auch noch die angetrunkene Sandra, die auf die Königin einredet, wild gestikuliert und auf uns deutet.
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