Hühner Voodoo (German Edition)
Lage der Knochen die Antwort.»
«Wunderbar!» Gwendolyn lachte herzlich.
Bernadette interpretierte Gwendolyns Lachen richtig. Daher sagte sie leicht gekränkt: «Es funktioniert! Obwohl ich mir das ausgedacht habe, funktioniert es! Ganz im Ernst. Es stimmt jedes Mal. Das kannst du mir glauben.»
«Natürlich. Und wie viel verlangst du für so eine Sitzung?»
«Nichts.»
«Du nimmst kein Geld für deine Arbeit?»
«Aber nein! Würde ich niemals tun. Es ist ja keine Arbeit, mir macht es doch Spaß.»
«Verstehe.» Gwendolyn lächelte. Das wurde ja immer besser. Dann würde sie eben für Bernadettes Hühner-Voodoo-Service ein Honorar festlegen und das Geld kassieren. Nicht nur, weil es ihre Einkünfte erhöhen würde, sondern auch, weil Gwendolyn der Meinung war, dass Leute Dinge nicht schätzen, für die sie nichts bezahlen müssen. Und um Bernadette nicht den Spaß zu verderben, würde sie diese finanziellen Transaktionen so dezent wie möglich handhaben. Sprich, ihr nichts davon sagen.
In der Kunst der Verschleierung hatte Gwendolyn Übung. Von Kindesbeinen an war ihr Leben eine Abfolge von gut inszenierten Illusionen. Genau genommen war es nicht ihr Leben, sondern das ihrer Eltern, an dem sie notgedrungen teilnahm. Gwendolyns Eltern waren ein sehr attraktives, überaus sympathisches Hochstaplerpärchen gewesen, das zwar den Mittelpunkt jeder Party gebildet hatte, aber ständig gegen Geldnot anarbeiten beziehungsweise anlügen musste. Was teilweise abrupte Ortswechsel nötig machte, ihren Lebensstil jedoch kaum beeinträchtigte. Der Familienname «Herzog» war dabei ein wichtiger Bestandteil, denn er ließ falsche Rückschlüsse zu, die Gwendolyns Eltern nie klarstellten, sondern ermutigten, da sie bei ihrer Charade stets auf die Eitelkeit und Naivität der Leute zählen konnten.
Familie Herzog lebte in teuren Hotelsuiten oder gemieteten Villen, in mondänen Orten der 50er und 60er mit hoher Celebrity-Dichte. Wie etwa Monte Carlo, nachdem Grace Kelly dem kleinen Monaco etwas Hollywood-Flair verliehen hatte, oder St. Tropez zur Zeit Brigitte Bardots. Auch die Küste Italiens gehörte zu den bevorzugten Aufenthaltsorten ihrer Eltern. Man war gerne in San Remo. Oder Positano, wo man Ingrid Bergmann, Pablo Picasso oder den amerikanischen Schriftsteller John Steinbeck traf, der sich über die doch sehr senkrechte Bauweise des Fischerdörfchens beschwerte. Die Winter verbrachte man in Davos, St. Moritz oder – in der Hoffnung, Sophia Loren wieder auf einer Party zu treffen – in Cortina d’Ampezzo.
In diesem Umfeld hatte Gwendolyn Mühe, die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu erringen. Sie freuten sich zwar über die kleine Gwendolyn, aber in deren sehr intensiver Beziehung war eigentlich kein Platz für eine weitere Person. Auch nicht für ein Kind. Die beiden blieben ein aufeinander fixiertes Paar. Gwendolyn für viele Jahre ein Einzelkind. Das sich langweilte. Sie war gezwungen, sich selbst zu unterhalten. Gwendolyn hatte sich schon früh in ihre eigene Welt zurückgezogen, und mit zehn Jahren hatte sie durchgesetzt, dass man sie in ein Internat schickte. Ein Jahr später wurde ihr Bruder geboren. Zu spät für Gwendolyn. Sie hatte kein Interesse mehr daran, geschwisterliche oder familiäre Gefühle zu entwickeln. Jedoch die Fähigkeit, Illusionen zu schaffen und Tatsachen zu verschleiern, die sie in der kurzen Zeit des Zusammenlebens mit ihren Eltern gelernt hatte, blieb ihr erhalten und erleichterte ihr weiteres Leben ungemein.
Gwendolyn lächelte Bernadette an. «Gut, dann sind wir uns also einig.»
«Worin sind wir uns einig?»
«Das wir zusammen ein Business starten.»
«Oh. Ach so. Ähm, ja.»
«Dann würde ich vorschlagen, du schaust dir die Räume mal an. Rosenthal 14. Ruf mich an und sag mir, wann du Zeit hast. Wenn sie dir gefallen, kannst du sofort den Mietvertrag unterschreiben, und wir fangen an.»
Bernadette nickte, Gwendolyn stand auf und wandte sich zum Gehen. «Du kannst dir schon mal Gedanken machen, wie wir das Business zum Laufen kriegen. Wir müssen Werbung machen. Die Leute müssen in Scharen zu uns kommen.»
Nachdem Gwendolyn gegangen war, aß Bernadette zur Feier des Tages noch zwei Stücke Marmorkuchen. Sie war so zufrieden und glücklich wie lange nicht mehr. Das süße Nichtstun, das man ihr, als sie in den Ruhestand ging, in Aussicht gestellt hatte, war alles andere als süß. Es war langweilig, und es betrübte sie. Sie hatte keine Aufgabe mehr. Ihr Leben lang hatte sie
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