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Hühner Voodoo (German Edition)

Hühner Voodoo (German Edition)

Titel: Hühner Voodoo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hortense Ullrich
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sich um andere Leute gekümmert. Als Gemeindeschwester. Das vermisste sie schmerzlich. Zwar hatte sie angeboten, weiterhin für die St. Mariengemeinde zu arbeiten, aber Pfarrer Meuser lehnte freundlich ab und meinte, sie hätte ihren Ruhestand wohlverdient und solle ihn genießen. Vielleicht lag es auch daran, dass Irritationen entstanden waren, weil sie angefangen hatte, ihr Hühner Voodoo bei ihrer Arbeit zum Einsatz zu bringen. Das sah man nicht so gerne.
    Aber die Begegnung mit Gwendolyn war ein Zeichen: Die Welt brauchte sie und ihre Fähigkeiten. Jetzt konnte sie ihr Hühner Voodoo zum Wohle anderer Leute nutzen. Ganz offiziell. Mit eigener Praxis. Eine schöne Aufgabe. Bernadette hatte ihr Leben lang nach Zeichen Ausschau gehalten und oft genug wichtige, noch öfter unwichtige Entscheidungen davon abhängig gemacht. Ihre Berufswahl etwa. Dass sie als Gemeindeschwester in der St. Marienkirche gearbeitet hatte, war einem Hühnerknochen geschuldet. Genau genommen dem bei Vögeln zu einem V-förmigen Knochen zusammengewachsenen Schlüsselbein, dem Gabelbein, von den Amerikanern auch Wishbone genannt.
    Als Bernadette ein Teenager war, lebten für zwei Jahre im Haus nebenan die Johnsons, ein amerikanisches Ehepaar aus Boston. Sie hatten Bernadette und ihre Eltern zu einem traditionellen amerikanischen Thanksgiving Dinner eingeladen, und nach dem Essen suchte Mrs. Johnson in den Überresten des Truthahns nach dem «Wishbone». Sie legte ihn frei und teilte Bernadette mit, dass sie in drei Tagen wiederkommen solle, dann sei der Wishbone getrocknet und etwas brüchig, und dann habe Bernadette eventuell einen Wunsch frei.
    Bernadette fand das etwas merkwürdig. Nicht die Tatsache, dass sie einen Wunsch freihabe, sondern, dass sie eventuell einen Wunsch freihabe. Was für eine Sorte von guter Fee war Mrs. Johnson denn? Eventuell ?!
    Nach drei Tagen fand sich Bernadette wieder bei Mrs. Johnson ein, und sie wurde in die Geheimnisse des Wishbones eingeführt. Zunächst erfuhr sie, dass sie gegen einen Kontrahenten antrat, in diesem Fall Mrs. Johnson selbst. Die oberen Enden des V-förmigen Knochens wurden von ihr und Mrs. Johnson jeweils mit dem kleinen Finger umhakt, dann durfte sich jede der beiden etwas wünschen. Es wurde feste gezogen, so lange, bis der Knochen auseinanderbrach. Wer das größere Stück hatte, dessen Wunsch ging in Erfüllung. Bernadette gewann.
    Da Bernadettes Wunsch in Erfüllung ging – sie hatte sich in ihrer Aufregung lediglich gewünscht, dass sie das größere Stück bekam –, war klar: Sie brauchte mehr Wishbones. Zu dumm, dass man die nur einmal verwenden konnte. Ein Truthahn passte nicht in den Kunz’schen Backofen, aber nach dem Studium der Anatomie von Vögeln stellte Bernadette fest, dass Hühner über denselben Knochen verfügen. Fortan stand Huhn auf Bernadettes dringende Bitte hin mehrmals wöchentlich auf dem Speiseplan der Familie Kunz. Was zu einer Schieflage im Haushaltsbudget und zu einer deutlichen Rundung von Bernadettes Figur führte. Da Bernadette nicht das Risiko eingehen wollte, einen Wishbone zu verschwenden, trat sie gegen sich selbst an. Das hatte den Vorteil, dass sie jedes Mal gewann.
    Bald gingen ihr die Wünsche aus. Sie kam auf die Idee, den Knochen als Ratgeber zu verwenden. Hatte sie Entscheidungen zu treffen, traf sie sie mit Hilfe des Wishbones: Linker kleiner Finger «Nein», rechter kleiner Finger «Ja».
    Als dann nach bestandenem Abitur ihre Berufswahl anstand, ergab sich durch Zufall eine neue Variante, Antworten aus Hühnerknochen zu lesen.
    Bei der Entscheidung Gemeindeschwester oder Sekretärin beim Verband der Bauindustrie war ihr der zerbrochene Knochen heruntergefallen, bevor sie sehen konnte, welcher Finger das größere Stück erwischt hatte. Als sie sich nach unten beugte, um die Knochen aufzuheben, hielt sie wie gebannt inne: Sie blickte auf ein Kreuz. Die Knochen hatten sich auf dem Boden gekreuzt, der kleinere Teil des Knochens lag quer über dem großen, und zwar im oberen Drittel des längeren Teils. Es war ganz eindeutig. Die Antwort lautete demnach: Sie solle der Kirche dienen. Und das tat sie. Sie arbeitete daraufhin als Gemeindeschwester in der katholischen St. Mariengemeinde.
    Das Missgeschick mit den heruntergefallenen Teilen des Wishbones öffnete ihr eine neue Welt. Man konnte die Knochen auch fallen lassen und dann aus der Formation die Antworten lesen.
    Das hatte den ungeheuren Vorteil, dass sie nicht pro Wunsch beziehungsweise pro

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