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Hühner Voodoo (German Edition)

Hühner Voodoo (German Edition)

Titel: Hühner Voodoo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hortense Ullrich
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erwartet, nach dem Genuss eines der seit Wochen obligatorischen Omeletts verstarb, besserte sich ihre Laune allerdings nur geringfügig. Judith war bereits übellaunig zur Welt gekommen, und seither hatte sich daran nicht sehr viel geändert. Sie war die Person, die bei einem Lotto-Gewinn über zwei Millionen lamentieren würde, sie sei ein Pechvogel, denn letzte Woche seien fünf Millionen im Jackpot gewesen. Im Laufe ihres Lebens gesellten sich zur miesen Laune auch noch Missgunst und Geldgier. Sie war nicht in der Lage, sich für andere zu freuen. Ihr erster Gedanke, wenn jemandem Gutes widerfuhr, war stets: «Und ich?»
    Sie war sehr unzufrieden mit dem Leben, das es nach wie vor versäumte, jemanden vorbeizuschicken, der sie glücklich machte. Das Konzept, andere glücklich zu machen, war ihr fremd.
    Judith arbeitete beim Finanzamt, wo sie ihre schlechten Eigenschaften zwar recht gut ausleben konnte, aber dennoch immer wieder daran erinnert wurde, dass sie nicht zu den Großverdienern gehörte. Ein Umstand, der ihre schlechte Laune noch steigerte. Dass sie langsam auf die 40 zuging und immer noch ihren Lebensunterhalt selbst verdienen musste, hatte bei ihr zu einer selbstgerechten Empörung geführt, die sie intensiv an anderen Leuten auslebte. Kurz: Jeder, der Judith kannte, versuchte ein Zusammensein mit ihr zu vermeiden.
    Seit der Beerdigung ihres Mannes bemühte sie sich, Frederick Ackermanns Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    Ihre Wahl war deshalb auf den Bestattungsunternehmer gefallen, weil sie den Unterlagen ihres Arbeitgebers entnehmen konnte, dass Frederick Ackermann Steuerklasse eins war, also ledig, und er mit dem höchsten Steuersatz veranlagt wurde. Sehr schön. Die genauere Einsicht in die Unterlagen ergab, dass Frederick Ackermann das war, was man üblicherweise «vermögend» nannte. Geld wirkte stets anziehend auf Judith. Es war ihr Aphrodisiakum.
    Bei ihrem ersten Mann hatte sie den Fehler gemacht, sich auf seine Angaben zu verlassen, ohne sie zu überprüfen. Das würde ihr nicht noch einmal passieren. Daher der Finanzcheck bei Frederick Ackermann. Als sie seinen Kontostand sah, war sie verliebt. Sehr verliebt. Und sie fasste einen Plan.
    Und Frederick Ackermann war nicht nur wohlhabend, sondern auch ungeheuer gut aussehend. Sie hatte wirklich Glück.
    Der Gedanke, in ein florierendes Unternehmen einzuheiraten und ihren Lebensstil auf ein höheres Niveau zu bringen, motivierte sie und trieb sie zu allerlei Aktionen an. Einladungen zu Konzerten, Festivals, Kino-Premieren. Sie schickte Frederick pausenlos Eintrittskarten, doch der Platz neben ihr blieb stets leer. Sie erklärte es sich damit, dass sie noch nicht sein Interessengebiet gefunden hatte, und überlegte, ob er wohl ein Mann sei, der nur für seinen Beruf lebte. Nun gut, war ihr auch recht. Also schrieb sie ihm einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, dass sie vorhabe, nach Wien zu fahren, um den Zentralfriedhof zu besichtigen, und ob er wohl Interesse daran habe, mitzukommen. Hatte er nicht.
    Aber Judith war eine zielstrebige Frau, die sich nicht so leicht von ihrem Vorhaben abbringen ließ. Sie musste schlicht mehr Einsatz bringen. Sie musste auch physisch um ihn herum sein, das würde ihre Chance erhöhen.
    Nur, wie sollte sie das anstellen?
    Bei ihrem nächsten Besuch im Bestattungsunternehmen lief sie seinem Buchhalter, Ernst Lehmann, über den Weg. Mit ihm würde sie sich anfreunden, beschloss sie, und das würde ihr ermöglichen, sich regelmäßig im Ackermann’schen Bestattungsinstitut aufzuhalten und ein wenig an Fredericks Leben teilzunehmen. Und diese Nähe hatte sich schon gelohnt: Erfreut hatte sie zur Kenntnis nehmen können, dass seine Beziehung mit dieser Sandra ein letales Ende gefunden hatte. Wunderbar.
    Ein letzter Blick in den Spiegel. Sie war mit einer guten Figur gesegnet. Aber ihr Charakter zeichnete sich leider in ihrem Gesicht ab, das man statt mit «grauer Maus» in ihrem Fall mit «grauer Ratte» beschreiben würde, denn das Nagetierhafte dominierte. Ihr war das nie aufgefallen. Sie hielt sich für attraktiv und war sehr zufrieden mit sich. Auftritt Judith Kallmeyer.

    Ernst Lehmann, Mitte 40, war nach wie vor überwältigt von dem Gedanken, dass er nun endlich eine Freundin hatte. Er interpretierte Judiths Aufmerksamkeit als Interesse an ihm. Ein Anfängerfehler. Er war hingerissen von ihr. Das lag nicht unbedingt an Judiths Persönlichkeit oder ihrem Aussehen. Ernst war hingerissen von ihr, weil – sie

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