Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hühner Voodoo (German Edition)

Hühner Voodoo (German Edition)

Titel: Hühner Voodoo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hortense Ullrich
Vom Netzwerk:
ihn ansah. Das kam nicht allzu oft vor. Normalerweise sahen Leute durch ihn hindurch, kein Blickkontakt. Es war Ernst nicht unrecht, er hielt nicht viel von Blickkontakt. Durch Blickkontakt fühlte er sich gezwungen, etwas zu sagen oder zumindest zu lächeln. Und damit war er überfordert.
    Als Judith zum ersten Mal bei ihm im Büro erschien und ihn um eine Tasse Kaffee bat, sah sie ihn an. Ganz direkt. In die Augen. Ernst durchfuhr es heiß. Was teils daran lag, dass er vor Schreck etwas von dem Kaffee, den er ihr gerade überreichen wollte, über seine Hand geschüttet hatte, aber teils auch an Judiths Blick, der ihn so unvermittelt traf. Und er konnte sich dieses Gefühl, das ihn überkam, nur mit einem einzigen Wort erklären: Liebe. Ernst war verliebt. Und Judith musste es wohl auch sein, sonst wäre sie nicht so nett zu ihm, dachte er.
    Er hatte zwar ein wenig Angst vor ihr, aber das wertete er nicht als schlechtes Zeichen, er hatte generell Angst vor Frauen. Seine Mutter hatte ihm das beigebracht. Sie hatte ihn gewarnt. «Frauen wollen bloß heiraten und versorgt sein. Und wenn du heiratest, Junge, was soll denn dann aus mir werden? Dann wird sie dich zwingen, dich zwischen ihr und mir zu entscheiden. Und dann? Was machst du dann? Ich sage dir, was dann passiert: Du wirst unglücklich.» Das wollte Ernst natürlich nicht. Er wollte nicht unglücklich sein. Aber er stand nie vor dem Konflikt, eine Entscheidung treffen zu müssen, da er nie eine Frau traf, die ihn vor diese Frage stellte. Frauen stellten ihm überhaupt keine Fragen. Sie übersahen ihn. Bis Judith auftauchte. Und Judith verlangte ihm auch keine Ich-oder-deine-Mutter-Entscheidung ab, was er ihr hoch anrechnete. Er lebte weiterhin bei seiner Mutter in der Drei-Zimmer-Wohnung. Er hatte das wunderbare Gefühl, dass er jeden Tag eine Verabredung mit Judith hatte. Und da sie die Verabredung stets einhielt, nahm er an, dass Judith seine feste Freundin sei. Dass ihr regelmäßiges Erscheinen im Bestattungsinstitut nichts mit ihm zu tun hatte, kam ihm nicht in den Sinn.
    Ernst zerbrach sich den Kopf, womit er Judith wohl eine Freude machen und wie er ihr mitteilen könnte, wie sehr sie ihm gefiel. Er war kein Mann großer Worte. Auch nicht kleiner Worte. Worte strengten ihn sehr an.
    Er freute sich, dass sie so großes Interesse an ihm und seiner Arbeit hatte. Heute wollte sie sogar gemeinsam mit ihm zur Beerdigung der Freundin seines Chefs gehen. Konnte man sich eine bessere Partnerin wünschen?

    Gwendolyn saß am Schreibtisch und hatte ein sehr geschäftsmäßiges Gesicht aufgesetzt, denn sie war in Sachen Luna Madison tätig. Sie war am Telefon und verhandelte mit Frederick Ackermann, der sich weigerte, zu ihr zu kommen. Und das wollte sie nicht so einfach hinnehmen. Sie wollte ihn auf keinen Fall verlieren, er war nach wie vor ihr einziger Patient. Er hatte die Beerdigung von Sandra als Grund für seine Absage genannt, schien allerdings auch nicht an einem weiteren Termin interessiert zu sein.
    «Herr Ackermann, keine Sorge, ich werde Sie nicht im Stich lassen.»
    «Darüber mache ich mir keine Sorgen. Ich denke nur, das bringt alles nichts.»
    «Ich spüre eine Ablehnung bei Ihnen, aber das ist durchaus normal in dieser Phase der Behandlung.»
    «Nun ja, also um ganz ehrlich zu sein, ich erkenne auch keine Behandlung.»
    Das war etwas dreist, fand Gwendolyn, aber sie gab nicht auf.
    «Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen, es läuft alles nach Plan. Allerdings brauchen wir jetzt Ihre Familienchronik.»
    «Hören Sie, ich habe jetzt nicht die Nerven, unser Archiv nach der Chronik zu durchstöbern.»
    «Aber natürlich nicht. Das übernehme ich.»
    «Ich weiß nicht …»
    «Geben Sie die Verantwortung ab. Überlassen Sie alles mir.»
    Gwendolyn hörte ihn seufzen. Ah, sie war auf dem richtigen Weg.
    «Herr Ackermann, Sie brauchen jetzt jede Hilfe, die Sie bekommen können.»
    Er schwieg.
    «Was haben Sie denn zu verlieren? Es ist doch durchaus einen Versuch wert.»
    «Wenn Sie meinen», sagte er schließlich.
    «Wunderbar. Ich komme gleich vorbei.»
    «Aber ich muss jetzt zu einer Beerdigung.»
    «Kein Problem, gehen Sie ruhig. Und denken Sie daran: Kurz vor dem Sonnenaufgang ist es immer am dunkelsten.»
    Na, das war doch mal ein prima Satz. Sie legte zufrieden auf und rief nach Bernadette.
    «Bernadette, wir müssen los.»
    Bernadette betrat mit einem Pinsel in der einen und einem Hühnerknochen in der anderen Hand Gwendolyns

Weitere Kostenlose Bücher