Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
geleerten Teller zur Seite und machte sich erneut auf den Weg zum Büfett.
»Wahrscheinlich wird er gleich bis zum Mittagessen sitzenbleiben. Ich für meinen Teil gehe jetzt schwimmen«, erklärte Julia. »Kommt jemand mit?«
»Ja, ich.« Tobias war schon wieder da. Er stopfte sich den Rest einer Melonenscheibe in den Mund und wischte die klebrigen Hände an seiner Hose ab. »Die ist sowieso waschreif.« Der unausgesprochene Tadel im Gesicht seiner Großmutter war ihm nicht entgangen. »Komm, Jule. Gehen wir erst in den Pool oder gleich ins Meer?«
»Was Julia betrifft, so wird sie zunächst ihren Koffer auspacken«, sagte Frau Antonie mit Nachdruck. »Ich verabscheue nichts mehr als Unordnung, und da wir nun mal einen Raum miteinander teilen müssen, wird sie dazu beitragen, ihn halbwegs wohnlich zu gestalten.«
Erst maulte sie ein bißchen, gab dann aber nach. »Na schön, auf die fünf Minuten kommt es nun auch nicht mehr an. Meine Badesachen liegen sowieso ganz unten im Koffer.«
Aufatmend sah Tinchen den beiden hinterher. »Wetten, daß Toni es schafft, aus Julia einen Ausbund an Ordnungsliebe zu machen?«
»In drei Wochen?« zweifelte Florian. »Bei dir ist ihr das ja nicht mal in drei Jahrzehnten gelungen.« Was ihn daran erinnerte, daß er als erstes Einbruchswerkzeug beschaffen mußte. »Was heißt Schraubenzieher auf englisch?«
»Keine Ahnung. Versuch’s doch mal mit Zeichnen. Schon die alten Ägypter haben Bilderschrift benutzt, und das waren auch Afrikaner.«
In seltener Einmütigkeit beschlossen Karsten und Tobias, das Auspacken auf einen noch unbestimmten Zeitpunkt zu verschieben und statt dessen einen Rundgang zu machen. Immerhin galt es so wichtige Dinge zu klären wie die Frage, mit welchen Getränken die Strandbar aufzuwarten hatte, wo man Wasserskier leihen konnte und vor allem, welche der rund um den Pool in der Sonne brutzelnden Bikinimädchen für mögliche Freizeitgestaltung in Betracht kämen. »Fangen wir mit Punkt drei an«, entschied Karsten, »was hältst du von der im grünen Tanga?«
»Das Chassis scheint in Ordnung zu sein, nur das Fahrgestell taugt nichts. Ich stehe auf Beine, aber Gurken gehören ins Glas.«
»Hast recht. Und die daneben?«
»Viel zu jung für dich, könnte aber meine Kragenweite sein.«
»Gegen Liebe auf den ersten Blick hilft nur der zweite. Gehen wir mal näher ran.« Karsten setzte sich in Marsch. Tobias hinterher.
Während Florian an der Rezeption zum wiederholten Mal seine graphischen Fähigkeiten ausprobierte, nachdem er zuerst ein Messer und dann einen Spaten ausgehändigt bekommen hatte – inzwischen rätselten schon vier Hotelangestellte an seinen Gemälden herum –, saß Tinchen auf ihrem Bett und heulte. Vor ihr standen die beiden verschlossenen Koffer, ausgebeult bis zum Platzen, und weigerten sich hartnäkkig, ihren Inhalt freizugeben. Zwei Fingernägel hatte sie der Versuch schon gekostet, mit einem Drahtbügel die Schlösser zu sprengen, und die Nagelfeile hatte auch nichts genützt. Jetzt sah sie aus wie ein Korkenzieher.
Durch die dünne Wand zum Nachbarbungalow hörte Tinchen Julias Lachen. Ob sie mal rübergehen sollte? Nein, lieber nicht, Toni würde auf einem Gegenbesuch bestehen und sofort über die noch nicht ausgepackten Koffer stolpern. Die dann zweifellos folgende Gardinenpredigt kannte Tinchen schon rückwärts, sie gipfelte regelmäßig in der Erkenntnis, daß Ordnung das halbe Leben sei. Tinchen hatte sich aber nun mal für die andere Hälfte entschieden.
Wenigstens die beiden Reisetaschen konnte sie ausräumen, dann hatte sie etwas zu tun. Vielleicht fand sie sogar ein Stück Seife. Als erstes fiel ihr Florians Wecker in die Hände. Weshalb hatte er den bloß mitgenommen? Und das alte Transistorradio? Damit kriegte man selbst in Deutschland nur noch die Mittelwelle rein. Sie packte weiter aus, fand sechs Paar Tennissocken, Skatkarten, einen Stadtplan von Gelsenkirchen und ganz unten, sorgfältig in ein T-Shirt gewickelt, eine ihr wohlbekannte Plastikdose. Wozu um alles in der Welt brauchte Florian Backpulver??? Verblüfft öffnete sie den Deckel. Eingebettet in dicke Watteschichten lagen zwei rohe Eier.
Jetzt war sie ernstlich beunruhigt. Hatte es bei Tante Gertrud nicht auch so angefangen? Immerhin hatte die ihr mal rote Rüben mitgebracht und behauptet, das seien Pflaumen, aus denen sie jetzt einen Kuchen backen werde. Ob so was erblich war?
Die Dose mit den Eiern stellte Tinchen erst mal ins Bad. Dann
Weitere Kostenlose Bücher