Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
bei der Regierung gehabt, mit regelmäßigem Einkommen, nicht viel natürlich, aber genug zum Leben.
Wovon er denn jetzt existiere, hakte Tinchen nach. Alles hatte sie nicht verstanden, doch sie hatte begriffen, daß dieser sechzehnjährige Junge offenbar eine vielköpfige Familie zu ernähren hatte.
Ein kleines Maisfeld hätten sie, das die Mutter beackere, während Schwester Mary versuche, den Mais zu verkaufen. Ein paar Kolben werde sie im Dorf meistens los, das Geld reiche dann gerade für Jimmys Ziegenmilch und für Mehl zum Brotbacken, aber wenn Markttag in Nkribuni sei, zweimal in der Woche, seien die Chancen größer. Manchmal könne Mary sogar im Auto vom Dorfkrämer mitfahren und brauche nicht zu laufen.
»How far is this – wie heißt das Nest? Krubini? – from your own village?«
»About eight miles.«
»Au backe«, staunte Tobias. »Where are you living?«
Er nannte einen unaussprechlichen Namen. Mitten im Busch läge sein Dorf, dreimal am Tag fahre ein Omnibus, aber auch nur bis zur Main Road, Touristen kämen niemals dorthin, und Bruder Jimmy habe in seinem ganzen Leben noch keinen Weißen gesehen. Einmal habe er mit Mary nach Nkribuni fahren dürfen, doch da gäbe es ja auch keine Europäer. Er glaube, alle Menschen sähen so aus wie er. Schwarz.
Tobias bestellte die dritte Cola. Für William auch noch eine.
»Junge, trink nicht soviel, das ist ungesund.«
»Ach, Oma, wer tagelang ohne Getränke auskommt, ist ein Kamel.« Dann wandte er sich wieder an William. Wenn sein Dorf mitten in der Pampa läge, wie um alles in der Welt käme er dann hierher nach Mombasa?
Per Anhalter; aber oft dauere es lange, bis ihn jemand mitnähme, und manchmal reiche das Geld ja für den Bus. Es gäbe sogar einen ganz bestimmten Schaffner, der ihn umsonst mitfahren lasse, nur habe der leider nicht immer dieselbe Strecke.
»Okay, you arrived Mombasa. And now?« Ob es hier so eine Art Touristensammelplatz gäbe, wo sich jeder seinen Führer heraussuche?
Zum erstenmal lachte William laut auf. Komische Vorstellungen hatten diese Europäer. Die wenigsten von ihnen wollten jemanden, der ihnen die Stadt zeigte. Jedes Hotel bot Rundfahrten an, da konnte man sich bequem herumkutschieren lassen und stieg immer nur dann aus, wenn es etwas zu besichtigen gab. Und beim nächstenmal wollten die Besucher ja doch nur noch shopping gehen, das machten sie lieber alleine. Er müsse eben warten und hoffen, daß er irgendwo und irgendwie ein paar Shillinge verdienen könne. Auf dem Gemüsemarkt zum Beispiel, da könne er öfter mal für zwei oder drei Stunden Arbeit bekommen. Manchmal auch am Bahnhof, Koffer tragen, aber meistens werde er dort von älteren Jungs vertrieben. Genau wie am Flugplatz, da sei er schon zweimal zusammengeschlagen worden, deshalb gehe er dort auch nicht mehr hin. Gut sei es, wenn im neuen Hafen ein Kreuzfahrtschiff anlegt. Am besten ein amerikanisches. Die Ladies würden sehr viel einkaufen und brauchten dann immer jemanden, der ihnen die Sachen trägt. Er habe von ihnen sogar schon Geschenke bekommen, Schokolade, Kaugummi und einmal sogar ein ganz neues T-Shirt mit einem Windsurfer vorne drauf.
Am liebsten hätte Tobias jetzt sein eigenes ausgezogen und William gegeben, aber so ganz oben ohne wollte er nun doch nicht herumlaufen. Aber hatte Karsten nicht …? Der wühlte schon in seiner Tüte und zog zwei der als Tauschobjekte vorgesehenen Hemden heraus. Etwas zweifelnd schätzte er Williams Schuhgröße ab. »Na ja, vielleicht passen sie ja doch.« Die grünen Turnschuhe wechselten ebenfalls den Besitzer. Eilends streifte William seine ausgetretenen Kunststoffsandalen ab und schlüpfte vorsichtig in den linken Turnschuh. Er saß wie angegossen. »I really can have them?«
Kleinlaut waren sie geworden, als sie das Lokal verließen. Niemandem war Williams ungläubiges Staunen beim Anblick der Geldscheine entgangen, mit denen Karsten die Rechnung bezahlt hatte. Nur Julia war nicht ganz überzeugt. »Ob das tatsächlich stimmt, was der erzählt hat? Ich glaub da nicht dran. Mir klingt das ein bißchen zu sehr nach Reader’s Digest: Bettelarm, aber zufrieden.«
Sollte auch Frau Antonie Zweifel an Williams Biographie haben, so äußerte sie sie nicht. Ihr humanitäres Gewissen war geweckt, und das trieb sie in den nächsten Supermarkt. Er werde jetzt einige Sachen für seine Familie einkaufen, befahl sie William, und selber aussuchen, was am nötigsten gebraucht werde. Wenn es genug sei, werde sie es
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