Hühnerbus und Stoppelhopser (German Edition)
lange weiter geradeaus, bis es erneut hinter ihnen röhrte. Diesmal blieb Florian mitten auf der Straße stehen. Mit bei den Armen winkte er, der Bus verlangsamte seine ohnehin nicht große Geschwindigkeit und hielt an. Leider war er voll, womit diese überquellende Blechbüchse nur sehr unzulänglich beschrieben werden kann. Nicht nur der Schaffner hing draußen auf dem Trittbrett, auch einige Fahrgäste hatten dort mühsam Halt gefunden. Wie ein Bienenschwarm klebten sie übereinander, und so ähnlich hörten sie sich auch an. Der nicht vorhersehbare Halt hatte sie heftig durcheinandergerüttelt, doch jetzt entlud sich der ausgestandene Schrecken. Kein freundliches oder gar mitfühlendes Wort tröstete die verschüchterten Wanderer, sie wurden im Gegenteil regelrecht beschimpft und waren sogar froh, als sich der Bus ratternd und keuchend wieder in Bewegung setzte.
»Wehe, wenn sie losgelassen …«
»Hör bloß auf!«
»… hätten«, ergänzte Tobias. »Die wären glatt über uns hergefallen.«
»Nun ahnt ihr vielleicht, wie damals der Mau-Mau-Aufstand angefangen hat.«
»Ja, Oma, mit ’m überfüllten Bus.«
Schweigend gingen sie weiter. Plötzlich sagte Tinchen: »Jetzt weiß ich, warum die anderen vorhin alle zurückgelaufen sind. Die haben nämlich gewußt, daß man rückwärts mehr Chancen hat als vorwärts. Ich hab die Frau mit dem Schleier wiedererkannt, weil sie den einfach unterm Kinn zugeknotet hatte.«
»Tine, du redest irre.«
»Überhaupt nicht. Du mußt sie doch auch gesehen haben, Flori, die saß genau gegenüber, und jetzt saß sie wieder im Bus am Fenster …«
»Da vorne kommt was Größeres!« Karsten hatte die Spitze übernommen und deutete auf den Lichtschein. »Könnte ein Dorf sein.«
Es war keins. Eine hohe Mauer, oben mit Stacheldraht gesichert, zog sich einige hundert Meter die Straße entlang. In regelmäßigen Abständen angebrachte Lampen spendeten ungewohnte Helligkeit. Zwei vergitterte Torflügel, zusätzlich mit einem Kettenschloß verrammelt, versperrten den Eingang. Daneben stand eine Art Schilderhaus, leer.
»Das muß eine Plantage sein«, vermutete Florian.
»Sieht eher wie ’ne Festung aus.« Versuchsweise rüttelte Tobias am Tor. »Da kommt keiner rein.«
»Und keiner raus.« Mit dem Kopf deutete Tinchen auf das seitwärts am Torpfosten angebrachte Schild: Republic of Kenya – State Prison.
»Ich glaub, ich bin im falschen Film!« Tobias japste nach Luft. »Das ist ja ’n Gefängnis!«
»Dann wird es hier auch ein Telefon geben.« Doch umsonst suchte Frau Antonie nach einem Klingelknopf oder einer anderen Möglichkeit, sich bemerkbar zu machen; nicht einmal das langgezogene, sechsstimmige »Haallooooo!« nützte etwas. Zu sehen war auch nichts. Büsche und Baumgruppen schirmten den Blick auf die vermutlich weiter hinten liegenden Gebäude ab.
»Dann eben nicht«, sagte Tobias enttäuscht. »Mensch, das wäre ’n Ei gewesen! Eine Nacht im Knast und dann noch in einem afrikanischen.«
Es war schon nach neun, als endlich ein Auto neben ihnen hielt. Ein Matata war es, einer dieser Kleinbusse, die Frau Antonie als Raubtierkäfig bezeichnet und sich geweigert hatte, einzusteigen. Jetzt allerdings wäre ihr jedes Transportmittel recht gewesen, sogar ein Maulesel. Neidisch hatte sie einem Eingeborenen hinterhergeblickt, der das müde vor sich hin schleichende Grüppchen in zügigem Tempo überholt hatte. »Der hat’s gut.«
»Und wie!« hatte Karsten gestöhnt. »Der hat vier Beine, da verteilt sich das Gewicht besser.« Schon mehrere Male war er drauf und dran gewesen, seine Holzfiguren irgendwo am Straßenrand zu verbuddeln oder zumindest so zu verstecken, daß sie niemand sehen könnte. Nur die Wahrscheinlichkeit, daß er sie dann auch nicht mehr finden würde, hatte ihn davon abgehalten. Wenn die Dinger bloß nicht so schwer wären …
Zwei Personen könne er mitnehmen, sagte der Matata-Fahrer, mehr gingen nicht hinein, am besten die beiden jungen Ladies, »because ladies first, isn’t it?«
Die Ladies wollten aber gar nicht, was die ausnahmslos schwarzen Fahrgäste bedauerten. Ihrerseits wollten sie die old lady nicht mitnehmen und den Mister schon überhaupt nicht, einigten sich dann aber doch auf die old lady, wenn die very young lady ebenfalls einsteigen würde.
»Wir bleiben zusammen!« entschied Frau Antonie. »Entweder werden wir alle zusammen abgemurkst oder keiner.« Sie versetzte dem linken Hinterreifen einen energischen Tritt. »Haut ab,
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