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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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Essen zu sparen«, schlug ich vor. Alex schnallte die Schlafsäcke auf das Motorrad. »Wenn wir von jetzt an im Supermarkt einkaufen, statt uns in irgendwelchen Schnellimbissen –« Ich brach ab und sog scharf die Luft ein.
    Ein Schwärm strahlend weißer Engel war hinter dem Dach der Ladenzeile hervorgeglitten – fünfzehn oder zwanzig Stück. Mit rauschenden Flügeln flogen sie schräg vor uns über die Straße.
    Als Alex mein Gesicht sah, sprang er hastig auf. Ich spürte, wie sich sein Energiefeld verlagerte. Beim Anblick der Engel verhärtete sich seine Miene. »Geh zurück!«, befahl er, ohne sie aus den Augen zu lassen. Wir pressten uns an die Seitenwand des Gebäudes. Alex schützte mich mit seinem Körper und versuchte, meine Aura hinter seiner eigenen zu verstecken. Er zog seine Waffe. Ich hörte ein leises Klick, als er sie entsicherte.
    Die Engel setzten ihren Weg fort, ohne uns zu bemerken. Vor den profanen Gebäuden und heruntergekommenen Häusern boten sie ein geradezu schmerzhaft prächtiges Bild. Unter Alex’ Arm hindurch starrte ich sie an, meine Gefühle waren ein einziges Chaos. Diese tödliche Schönheit war ein Teil von mir. Ich war kein Raubtier, so wie sie. Dennoch, zur Hälfte war auch ich ein Engel. Der Schwärm verschwand in der Ferne. Wie zwinkernde Sterne huschten sie unter dem Licht der Straßenlaternen hindurch.
    Ich fühlte, wie Alex unsere Umgebung absuchte und sich dann wieder entspannte. »Alles klar, die Luft ist rein.«
    Wir traten aus dem Schatten und schauten uns an. Meine Knie waren weich wie Watte. Hätten die Engel uns gesehen, wären wir jetzt tot. Vor allem ich, nach dem, was ich getan hatte – und falls sie immer noch glaubten, ich wäre diejenige, die sie alle vernichten konnte. Ich wusste, dass Alex dasselbe dachte, aber keiner von uns sprach es aus.
    »Das war ein ziemlich großer Schwärm«, stellte ich schließlich fest.
    »Ja, so einen großen habe ich noch nie gesehen.« Er steckte seine Waffe wieder weg und ich erhaschte einen Blick auf seinen durchtrainierten, flachen Bauch. »Ich schätze, sie gehören zur Zweiten Welle. Vielleicht wollen sie runter nach Albuquerque, um sich dort niederzulassen.«
    Ich schluckte. Es ging also schon los. Die zweite Einwanderungswelle der Engel richtete sich neben der ersten in unserer Welt ein. Alex machte sich daran, auch unsere restlichen Sachen auf dem Motorrad zu befestigen. Als er sich wieder aufrichtete, nahm er mich in den Arm und hielt mich lange fest. »Bist du so weit?«, fragte er.
    Ich nickte. Plötzlich konnte ich es kaum erwarten, endlich von hier wegzukommen. »Ja. Lass uns fahren.«
    Wir fuhren stundenlang auf kleinen Nebenstraßen Richtung Süden. Nur einmal hielten wir an, um uns in einem winzigen Laden in den Hügeln nördlich von Alamogordo schnell etwas zu essen mitzunehmen. Die Landschaft wurde zur Wüste, über deren endloser Weite die Sterne funkelten. Einmal, als wir eine Stadt umfuhren, sah ich einen weiteren Engel, dessen schneeweißer dahinfliegender Körper sich klar vor dem nächtlichen Himmel abzeichnete. Noch während ich ihn beobachtete, vollführte er eine rasante Kehrtwende und schoss wie ein tödlicher Pfeil in die Tiefe. Ich wandte den Kopf ab, während wir weiterfuhren. Ich wusste, was in diesem Moment geschah. Und ich konnte die Vorstellung kaum ertragen.
    Unser Weg führte uns wieder bergauf. Der kalte Wind fegte mir ins Gesicht und über die Arme. Zitternd presste ich mich an Alex’ Rücken und war froh, als er endlich von der Straße herunterfuhr. Ich hatte das Gefühl, dass es schon spät war, nach Mitternacht.
    »Ich dachte, in New Mexico ist es heiß«, sagte ich, als wir vom Motorrad stiegen. Alex war auf eine unbefestigte Straße abgebogen, die tief in den Wald hineinführte, bis zum Grund eines engen Canyons. Der Mond verbreitete ein schwaches silbriges Licht und ich konnte meinen Atem sehen.
    »Nicht hier oben«, erwiderte Alex, während er das Zelt abschnallte. In diesem Bundesstaat war er zu Hause und er schien ihn wie seine Westentasche zu kennen. Frierend tastete ich im Gepäckfach nach dem Pullover, den ich gekauft hatte. Ich zog ihn über den Pullover, den ich bereits trug, und erinnerte mich daran, dass Alex noch nicht einmal eine Landkarte gebraucht hatte, als er uns im September Hunderte von Kilometern über die Nebenstraßen von New Mexico gelotst hatte.
    »Aber wir sind jetzt nicht mehr allzu weit von der Grenze entfernt, und dann kommt wieder Wüste«, fuhr er fort.

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