Hueter der Daemmerung
entgegen. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock und ein Top, das sie sich von Liz geliehen hatte. Dazu eine Jeansjacke und hochhackige Sandalen, die er nicht kannte und die ihr ein langbeiniges Aussehen verliehen. Seb steckte in grauen Hosen und einem frisch gestärkten weißen Hemd, einer Leihgabe von Wesley. Die anderen waren ähnlich gekleidet. Alex hatte gewollt, dass sie sich so wenig wie möglich von den Kirchgängern abhoben. Und obwohl es Seb wurmte, Befehle von Alex entgegenzunehmen, musste er zugeben, dass der seine Sache gut machte. Er selber hätte sich bestimmt nicht um den Job gerissen.
»Sitzen sie gerade?«, fragte Willow ihn leise. Sie drehte ihm den Rücken zu, auf dem krumm und schief ihre lavendelblauen Flügel hingen. Seb rückte sie für sie zurecht und entwirrte ein Gummiband, das sich auf ihrer Schulter verheddert hatte, wobei er versuchte, nicht darauf zu achten, wie vorteilhaft der Minirock ihre Figur zur Geltung brachte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Alex sie beobachtete, und verkniff sich ein Schnauben. Falls Alex eifersüchtig war, dann hatte er das einzig und allein seiner eigenen Blödheit zuzuschreiben. Unter normalen Umständen hätte Willow nie Seb statt Alex um Hilfe gebeten.
»Jetzt sind sie gerade«, informierte er sie. Es gelang ihm, nicht hinzuzufügen: Du siehst wunderschön aus.
Er war so nah dran gewesen, die Worte auszusprechen, dass es für Willow ein Leichtes war, sie in seinen Gedanken zu lesen. Sie errötete. »Danke«, sagte sie. Und er wusste, dass sie damit auch das Kompliment mit einbezog. »Deine sind gut so«, setzte sie, mit einem Blick auf seine weißen Flügel, hinzu.
Kara kam wieder zurückgerannt. »Alex, es ist richtig übel«, keuchte sie. »Es hat einen Sicherheitsalarm in der Kathedrale gegeben. Sie haben Angst vor einem Anschlag wegen der Aktivisten-Demo. Sie haben einen Metalldetektor installiert.«
»WAS?« Alex’ Kopf flog zu den Kathedralentüren herum. Er fluchte leise.
Seb stand regungslos da, er dachte an das Springmesser in seiner Tasche. Er trug auch eine Pistole – das Holster unter seinem Hosenbund fühlte sich seltsam an –, aber er wusste, dass er im Notfall eher nach seinem Messer gegriffen hätte.
»Und … was bedeutet das?«, fragte Liz irgendwann.
»Es bedeutet, dass wir unsere Waffen ablegen und trotzdem reingehen?«, mutmaßte Brian.
Alex’ Frustration ließ sich beinahe mit den Händen greifen. »Wozu soll das gut sein? Falls es irgendwelchen Ärger gibt, müssen wir schießen können. Verdammt noch mal!« Er fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Wir können die Aktion nicht verschieben«, murmelte er vor sich hin, während er die Schlange anstarrte. »Morgen ändert sich der Zugangscode …«
»Vielleicht brauchen wir den Code ja gar nicht«, gab Willow mit kühler Stimme zu bedenken.
»Ja, aber vielleicht doch«, knurrte er. »Darauf können wir es nicht ankommen lassen, in nur vier Tagen ist das Konzil wieder verschwunden.« Er stieß die Luft aus. »Okay«, sagte er dann. »Wir werden draußen vor der Tür auf euch warten müssen. Gebt Kara eure Waffen. Willow, dein Handy.«
Nachdem sie Kara verstohlen ihre Pistole zugesteckt hatte, wühlte Willow in ihrer Jackentasche nach ihrem Mobiltelefon. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, und Seb konnte mühelos spüren, dass es sie ärgerte, herumkommandiert zu werden. Er drehte der Menschenmenge den Rücken zu und zog seinerseits Waffe und Klappmesser hervor, die er Kara aushändigte. Wortlos verstaute sie beides in ihrer Tasche. Ihre Meinung über ihn war so offensichtlich, dass Seb nicht widerstehen konnte. Lächelnd sagte er: »Du wirst mein Messer doch wohl nicht klauen?«
Der Ausdruck in ihren braunen Augen wurde noch eisiger. »Keine Sorge. Ich bin keine Diebin.«
Am anderen Ende des Platzes hielt das rhythmische Geschrei, das dumpf herüberklang, unvermindert an. Alex drückte auf Willows Handy herum. Als Seb ihm einen Blick zuwarf, blieb die Zeit plötzlich stehen.
Obwohl er Auren sehen konnte, ohne sich anzustrengen, überprüfte er nicht jede einzelne, der er begegnete, bis ins Detail, denn die Masse an Informationen hätte ihn komplett überwältigt. Aber als Alex am Vortag den Schießstand verlassen hatte, um nach oben zu gehen, hatte Seb gemeint, in der blaugoldenen Färbung seiner Aura etwas Merkwürdiges entdeckt zu haben. Er hatte es als optische Täuschung abgetan – jetzt allerdings, im klaren Sonnenlicht des
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