Hueter der Daemmerung
redeten, debattierten und neckten sich andauernd. Brendan stammte aus Portland und hatte etwas von einem Terrier: drahtige Haare und eine überschäumende Energie. Dass die Welt von den Engeln befreit werden musste, war auch schon das Einzige, worüber er und Sam überhaupt einer Meinung waren. Ihre politischen Streitgespräche konnten sich stundenlang hinziehen, bis Brendan sich die Haare raufte und vor lauter Frustration regelrecht kreischte – »Oh Mann, wie kommst du bloß darauf. Du solltest dich mal hören, du Ignorant!«
Irgendwann ging dann immer Trish dazwischen und versuchte, auf ihre sanfte Art die Wogen zu glätten. Alle hatten sie so gern, dass sogar Brendan für eine Weile murrend Ruhe geben konnte – bis Sam erneut einen seiner näselnden Kommentare losließ. Und schon ging das Theater von vorne los. Liz war genauso schlimm. Sie warf kleine bissige Bemerkungen ein und goss damit noch ordentlich Öl ins Feuer.
Sie hatte sich außerdem selbst zur Köchin ernannt. Als ich vorschlug, dass wir uns bei der Essenszubereitung vielleicht abwechseln könnten, da ich ebenfalls gerne kochte, erstarrte sie zur Salzsäule, als hätte ich vorgehabt, Gift ins Essen zu streuen, und so ließ ich das Thema fallen. Es lohnte die Mühe nicht. Selbst im Umgang mit den anderen schien Liz auf »Kratzbürstigkeit« programmiert zu sein, obgleich sie und Trish sich richtig gut verstanden. Einmal kam ich in den Mädchenschlafraum und überraschte die beiden bei einem ernsthaften Gespräch. »Ich glaube, du solltest dir keine Vorwürfe machen«, sagte Trish. »Probleme gibt’s in jeder Familie.«
Dann sahen sie mich und wurden stumm wie die Fische. Liz machte ein finsteres Gesicht und hob das Kinn, wie immer. Trish wirkte erschrocken und leicht verkrampft in meiner Nähe. »Tut mir leid, dass ich euch unterbrochen habe«, sagte ich. Keine von beiden antwortete und ich unterdrückte ein Seufzen, als ich mir mein Shampoo und mein Handtuch holte und das Zimmer wieder verließ. Ironischerweise glaube ich, dass Trish und ich Freundinnen hätten werden können – sie war so nett. Es gab kein passenderes Wort für sie. Aber es war nicht zu übersehen, wie misstrauisch sie mir gegenüber war. Oder wie sehr sie die Spannungen hasste, die ich in die Gruppe getragen hatte.
Der einzige Stille war Wesley. Ständig hockte er über seinem Laptop und seine gesamte Konversation schien sich auf mürrisches Gegrunze zu beschränken. Zunächst dachte ich, dass er uns alle nicht ausstehen konnte, doch dann erkannte ich, dass er einfach nur fürchterlich schüchtern war. Es steckte aber noch mehr dahinter – einmal spürte ich ein derart starkes Gefühl der Trauer von ihm ausgehen, dass ich ihn beinahe darauf angesprochen hätte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht belehrte mich allerdings eines Besseren. Meistens ging er mir aus dem Weg, genau wie alle anderen, während ich versuchte, die Tatsache, dass ich gemieden wurde, zu ignorieren. Als hätte ich nicht etwas Unsägliches an mir, das jeden von ihnen erstarren ließ, falls ich ihnen aus Versehen einmal zu nahe kam.
Innerlich schüttelte ich mich jedes Mal, wenn ich mich bei diesem Gedanken erwischte. Es sah mir überhaupt nicht ähnlich, mich selbst zu bemitleiden. Aber ich fühlte mich tatsächlich einsam. Obwohl wir im selben Haus lebten, fehlte mir Alex. Nirgends gab es ein Eckchen, wo wir wirklich ungestört waren. In den Schlafräumen und der Küche gingen dauernd Leute ein und aus, und die Schießanlage und der Fitnessraum waren auch nicht gerade ideal. Der Fernsehraum war sowieso ständig besetzt – zum Beispiel von Brendan, der an Schlaflosigkeit litt und für gewöhnlich um drei Uhr morgens mit seinem Laptop im Internet surfte.
Alex’ winziger Schlafraum, der unser Rückzugsort hätte sein können, bot uns ebenfalls wenig Privatsphäre, da er unmittelbar an den Schlafraum der Jungs grenzte. Unmittelbar im Sinne von: Man musste direkt durch den Schlafraum gehen, um hineinzukommen. Wenn welche von den Jungs draußen waren und sich unterhielten, konnten wir ihr Gemurmel hören – es lag also auf der Hand, dass man uns ebenfalls hören konnte. Und da Alex der Anführer war, konnten wir sie nicht einfach dazu auffordern, sich zu verziehen. Das hätte sich so angefühlt, als würde er sich irgendwelche Sonderrechte herausnehmen oder so.
Wir konnten uns also küssen, wir konnten uns berühren … aber wir konnten uns nicht allzu sehr gehen lassen. Ich war mir der kleinen Schachtel,
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