Hüter der Flamme 04 - Der Erbe der Macht
Himmelsrichtungen auseinanderzujagen, und wer nicht aufpaßte oder vom Glück begünstigt war, wurde niedergetrampelt.
Vielleicht wirkte der Gesang ja tatsächlich beruhigend.
Es befand sich niemand sonst in Hörweite; er stimmte eine langsame, traurige Melodie an, die er von seinem Vater gelernt hatte. An den Text konnte er sich nicht mehr so ganz erinnern, also dichtete er selbst etwas dazu ...
Drunten im Tale, im tiefen Tal,
sehen wir uns zum letzten Mal,
dort werden zu Gulasch
die Kuh und der Stier,
und lebte ich auch hundert Jahr,
wird mir nie mehr was so stinken wie ihr ...
... und fühlte sich auch sonst noch zu einigen Randbemerkungen inspiriert, während unter einem Baldachin aus zwinkernden Sternen und langsam wogenden Feenlichtern Falikos' Herde die Nacht mit Gebrüll und Gescharre und Gestank erfüllte.
Man fühlte sich beinahe versucht, Vegetarier zu werden, dachte Jason. Obwohl Vater einzuwenden pflegte, daß Vegetarismus einige Probleme mit sich brachte: Man neigte dazu, seine Stimme für den Kandidaten mit dem Wahlspruch ›Frieden um jeden Preis‹ abzugeben - was immer er damit meinte.
In einiger Entfernung, ein paar hundert Stück von den dummen Viechern weiter, sah Jason einen seiner Leidensgenossen hinter einer Kuh hergaloppieren, die sich von der Herde getrennt hatte.
Die Intelligenz ihrer Tiere war nicht eben beeindruckend und arbeitete noch dazu auf merkwürdigen Umwegen.
Man nehme ihr Orientierungsvermögen. Jason schien die Hälfte der Zeit damit zu verbringen, Kühe und Kälber zu jagen. Wurden die beiden getrennt, zwang sie ein idiotischer Instinkt, zu der Stelle zurückzukehren, an der sie sich zuletzt gesehen hatten, ganz egal, wie weit die Herde in der Zwischenzeit gewandert war. Sämtliche Treiber ritten immer wieder große Bögen hinter der Herde, um diese Nachzügler einzusammeln.
Eine Bö aus dem Westen hüllte ihn wieder einmal in eine Wolke dieses Gestanks. An alle anderen Gerüche, die ihm im Laufe seines jungen Lebens vorgekommen waren, hatte er sich gewöhnen können, aber nicht an diesen.
Er löste die behandschuhten Hände von den Zügeln, um sich die brennende Nase zu reiben, dann zwickte er sich in den Nasenrücken, als könnte er mit diesem Schmerz die diversen Zipperlein an anderen Körperpartien lindern.
Er fühlte sich durch und durch elend. Seine Augen brannten vor Mangel an Schlaf. Eine dumpfe Taubheit in der unteren Rückenhälfte erinnerte ihn daran, daß er den letzten halben Tag im Sattel zugebracht hatte, bis auf die paar Mal, die er abgestiegen war, um sich zu erleichtern. Und selbst das brachte so seine Probleme mit sich. Die endlosen Stunden auf dem Pferderücken, zusammen mit dem ungenießbaren Fraß, den Falikos' Koch sich aufzutischen erdreiste, hatte ihm die Bekanntschaft mit Hämorrhoiden beschert und ihn gezwungen, eine weiche Decke zwischen seinen Allerwertesten und den Sattel zu legen.
Für die Pferde war es leichter. Sie konnte man nicht überanstrengen, oder sie legten sich einfach hin und starben. Wie die anderen Treiber auch, wechselte Jason bis zu sechsmal am Tag das Reittier. Während Indeterminist auch viele gute Seiten hatte, war er nicht zum Treiben abgerichtet und reiste sozusagen erster Klasse nach Pandathaway.
Er ruckte hart an den Zügeln; der störrische Braune gehorchte zögernd, ließ sich aber um keinen Preis zu einer schnelleren Gangart bewegen, als Jason ihn zu der Stelle lenkte, wo die Reservepferde für die Nacht angebunden waren.
Während er seinen Sattel von dem erschöpften Braunen auf einen müden Fuchswallach wechselte, fragte Jason sich zum einen, warum man die Treiber nicht ebenso gut behandeln konnte wie die Pferde.
Zum anderen mußte er wieder an seinen Vater denken, der - wenn man seinen Erzählungen Glauben schenken wollte - als kleiner Junge oft davon geträumt hatte, Cowboy zu sein. Er stellte sich dieses Leben ungeheuer romantisch vor.
Bei dem Bemühen, dem Fuchs das Halfter überzustreifen, stellte sich das Tier auf seinen Fuß, und er sank in schweigender Qual zu Boden. Er durfte sich nicht einmal mit einem Aufschrei Erleichterung verschaffen, um die Herde nicht in wilder Flucht davonstieben zu lassen.
Als er - langsam, schmerzerfüllt - wieder auf die Füße krabbelte, fragte er sich zum tausendsten Mal: Welcher Idiot konnte so was romantisch finden?
Kapitel achtzehn
Nach der Fürstenversammlung
Politische Macht wächst aus dem Lauf eines Gewehres.
Mao Tse-tung
Sobald die übrigen gegangen
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