Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
und sie zu küssen, wobei ich darauf bedacht war, meine Hände hinter mir verschränkt zu halten. Sie konnte nichts dagegen machen, und ich konnte nicht anders.
Sie warf den Kopf zurück, vielleicht um ihn zur Schau zu stellen oder vielleicht auch aus Nervosität. Ich trat einen halben Schritt zurück und war betrübt darüber, wie sehr sie unter Spannung stand.
»Gut geschlafen?« fragte sie in ihrem immer leicht schleppenden Englisch.
»Na ja. Im Schlafen war ich noch nie sehr gut«, antwortete ich. Das war ein alter Scherz zwischen uns. Manchmal, wenn alles auseinanderfällt, greift man auf die alten Gewohnheiten zurück.
»Du hast ein paarmal aufgeschrien«, sagte sie. »Ich wußte mir nicht zu helfen.«
Das war schon in Ordnung so. Ich wechselte ins Erendra. »Schlechter Traum«, sagte ich.
Ich ging zum Waschbecken, spritzte mir etwas Wasser ins Gesicht und auf die Brust und trocknete mir vor dem Schrank das Gesicht ab. Währenddessen griff ich mir ein paar Kleidungsstücke für ein halbformelles Abendessen und zog mir schnell ein kurzes, braunsilbernes, weitgeschnittenes Jackett über ein lohfarbenes Rüschenhemd und eine gedeckte Hose mit einem seitlichen Silbersaum. Ich mag es, wenn meine formelle Kleidung bequem zu tragen ist, und achte darauf, daß der Schnitt der Ärmel einen leich ten Zugang zu meinem Wurfmesser erlaubt, das ich griffbereit am linken Unterarm trage. Das Messer hatte ich zwar noch nie bei einem formellen Essen gebraucht, aber man kann ja nie wissen.
Ich schnallte mir den Gürtel meines Präsentationsdegens fest um die Taille und fand, daß er sich gut machte. Dann öffnete ich den Gürtel wieder und legte ihn über die Schulter.
»Wo hast du dich heute herumgetrieben?« fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Überall.« Sie biß einen Faden ab und stach die Nadel in den Stoff. Nachdem sie vorsichtig ihre Arbeit niedergelegt hatte, stand sie auf und kam zu mir herüber, wobei sie sich das lange, goldene Haar im Nacken zusammenband.
Sie blieb ganz nahe vor mir stehen, ohne mich zu berühren.
Es war nicht einfach nur das Kleid, obwohl das schon beeindruckend war. Kirah hatte eine lange Robe aus weißer Spitze über roter Seide angelegt, die vorne nur leicht und hinten dafür tief ausgeschnitten war, so daß viel von ihrer zarten, sanften Haut enthüllt wurde. Ich schwöre, meine Frau wurde von Jahr zu Jahr schöner. Bei Frauen in den Dreißigern kann eine Fülle von Schönheit auftreten, nachdem alle Spure von Babyfett und Unschuld verschwunden sind, aber noch bevor die Jahre der Haut und den Muskeln die Elastizität genommen haben.
Und all das konnte man betrachten.
Nein, das war nicht fair. »Sag mal ehrlich, wo warst du?«
»Ich habe den Morgen damit verbracht, Andrea zu helfen.«
Das war es also, was Andy mir verheimlicht hatte. Ich war auf solche Dinge nicht gut zu sprechen, doch ich hoffe, daß mir meine Mißbilligung nicht ins Gesicht geschrieben stand.
Nach Dorias Anordnungen sollte Andy doch eigentlich die Anwendung von Magie auf ein Minimum beschränken. In ihrem besessenen Drang, Karl aufzuspüren, hatte Andy bei weitem zuviel Energie verschwendet. Und es ist für Menschen nicht gut, ob Zauberer oder nicht, sich die ganze Zeit
mit Magie zu beschäftigen. Macht ist gefährlich, selbst wenn man glaubt, sie zu kontrollieren.
Nun, meiner eigenen Einschätzung nach hatte Doria ein bißchen zu viel von einer Glucke, etwas, was eigentlich nicht zu ihr paßte. Aber unabhängig davon, inwieweit sich Doria über die tatsächliche Gefahr im klaren war, wird es für Kirah noch immer relativ ungefährlich gewesen sein - denn sie konnte noch nicht einmal die magischen Schriften lesen. Eine Seite aus Andreas Buch der Zaubersprüche dürfte für sie genau derselbe undurchsichtige Wirrwarr wie für mich sein. Wenn man nicht die Anlage dazu hat, kann man auch keine Zaubermagie praktizieren. Wenn man zu den Göttern, Mächten oder Feen nicht die richtige Beziehung hat, kann man auch keine priesterliche Magie tätigen, wie Doria es zu tun pflegt.
Sie neigte den Kopf zur Seite. »Ich war gerade dabei zu erwägen, dich entweder zum Abendessen aufzuwecken oder dich einfach durchschlafen zu lassen.« Sie lächelte, als sie einen Schritt zurücktrat und sich dann wieder näherte, jede Bewegung der Schritt eines Tanzes.
»Gibt's bald Abendessen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es dauert noch eine Weile. Aber du brauchst immer so lange, um wach zu werden.«
Ich nahm sie in den Arm
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