Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
zuzusehen, die er besonders gut beherrscht.
Die Klinge blitzte im Kerzenlicht auf und schneller, als man es in Worte fassen konnte, hatte sie den ersten Vogel auf erenische Art aufgeschnitten. Die Haut war in handflächengroße Stückchen zerteilt, wobei jedes mit einem Häufchen vom Löffel geformter Füllung gekrönt war. Die Brust war in dicke Scheiben zerschnitten; die Schenkel waren von den Keulen getrennt; der obere Teil der Keule war sorgfältig aus dem Fleisch herausgelöst worden. Der Rücken und der Rest des Gerippes wurden von der fetten, alten Frau stolz zurück in die Küche gebracht, um als Suppengrundlage zu dienen. Schließlich brachten zwei ihrer Helfer das Gemüse und die Beilagen herein, die zu den Vögeln gereicht wurden.
Während sie anfing, den zweiten Vogel aufzuschneiden, spießte Jason ein Stück Haut und Füllung auf und kostete einen Bissen.
»Und?« fragte sie, ohne dabei ihre Arbeit zu unterbrechen oder die geringste Spur von Ehrerbietung oder auch nur Respekt in ihre barsche Stimme zu legen. »Wie ist es?«
»Nicht sehr gut«, erwiderte Jason.
Ich dachte, Benen würde der Unterkiefer auf den Teller herunterfallen, doch Ritelen, der bemerkt hatte, was da vor sich ging, versteckte ein Lächeln hinter seinem Walroßschnurrbart und der Serviette.
»Nicht ... was?« U'len stemmte ihre dicken Fäuste in die noch dickeren Hüften.
Er musterte sie für einen langen Augenblick. »Nein. Wir, äh, können allen anderen das ... ehm, Problem abnehmen, das zu essen. Ich werde es einfach übernehmen.«
»Onkel Jason lü-ügt, lü-ügt«, sang Dorann und ver stummte im nächsten Augenblick, als ihr der Mund mit Füllung vollgestopft wurde - Kirahs Timing ist manchmal wirklich gut.
Nachdem U'len den Fisch aufgetragen hatte - Bachforelle gebacken in Sauerampfer und Sahne; aber ich kenne eine viel bessere Art, frische Forelle zu kochen - und dabei war, das Dessert zu servieren, kamen Kethol, Durine und Pirojil herein.
Sie waren nicht gerade die drei Musketiere. Kethol mager, knochig und rothaarig, Pirojil stämmig und reichlich häßlich und Durine ein ruhiger Bär von einem Mann. Sie waren die einzigen Gefährten Karls gewesen, die jenes Ereignis überlebt hatten, das man später den legendären Letzten Ritt nannte, und zwei von den dreien hatten Jason auf der Suche nach Karl begleitet, die ... na ja, mich zum Vorschein gebracht hatte.
Pirojil sprach für alle drei. »Baron, wir haben draußen einen Bauern, der sagt, daß er dich sprechen will. Es hat in der Nähe von Velen ein bißchen Ärger gegeben.«
Ich glaube, es war die Nacht, in der für Benen ein Schock auf den anderen folgte. Erstens, weil drei Soldaten das offizielle Mahl des Barons unterbrachen, ohne auch nur so etwas wie ›Mit Eurer Erlaubnis‹ vorzubringen. Zweitens: der Grund der Unterbrechung. Und drittens: die Art und Weise, wie Jason bereits aufgesprungen war und sein Schwert gürtete, während er zum Ausgang eilte.
»Nun, wir wollen sehen, worin das Problem besteht«, sagte er. »Baron Adahan, bitte laßt Euch auf meinem Platz nieder.«
Eigentlich hätte Jasons Höflichkeit gegenüber dem Holtuner mich beeindrucken sollen, aber ich reimte mir zusammen, daß Jason lieber auf diese Weise versuchte, Adahans Nase aus der Sache herauszuhalten, als ihm einen Schlag auf dieselbe zu verpassen.
»Ich bin gleich bereit«, murmelte Tennetty über einem letzten Bissen Forelle, doch es schien ihr nichts auszumachen, das Essen zu unterbrechen. Tennetty hat noch nie viel für Desserts übrig gehabt. Sie stand auf und tastete automatisch nach dem Heft ihres Messers, bevor sie ihr Schwert gürtete.
Ich hatte nicht vor, sie zu begleiten - die drei Musketiere wußten genug, um den Bauern zu suchen, und schließlich war auch noch Tennetty dabei. Außerdem freute ich mich auf U'lens Himbeertorte, obwohl die Kerne immer zwischen meinen Zähnen steckenblieben. Aber Jason brach auf, und Ahira folgte ihm, und so schloß ich mich ihnen an.
Ich glaube, mein Sinn für Gleichberechtigung hätte es erfordert, den Bauern hereinzubitten, aber niemand hatte danach gefragt.
Wir trafen ihn auf dem Hof unter den wachsamen Augen der Wache, einem Dutzend flackernder Fackeln und einem sternenübersäten Nachthimmel.
Der Bauer war nicht so, wie ich erwartet hatte, obwohl ich mir das hätte vorstellen können. Velen war gut zwei Tagesmärsche entfernt, und der Bauer war nicht selbst gekommen, sondern hatte seinen Sohn geschickt. Ja, er war klein und
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