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Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor

Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor

Titel: Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Rosenberg
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war dafür eingetreten, Tennetty diesen Abend nicht mitzunehmen. Dafür hatte ich mehrere Gründe: Kriegerfrauen waren in Eren selten, und Tennetty war ziemlich gut bekannt. Als Karl Cullinanes einäugige Leibwache war sie sogar einigermaßen berühmt. Sie hatte ihr Temperament niemals voll unter Kontrolle, und sie machte mir angst.
    Andererseits war ihr Glasauge unter einer Haarsträhne zu erkennen, und niemand würde mich mit Karl verwechseln, weder mit dem wirklichen noch dem der Legende.
    Sie war die naheliegendste Wahl für diese Aufgabe, trotz ihrer Nachteile - im Gegensatz zu Jason konnte man sich bei ihr darauf verlassen, daß sie nicht plapperte; im Gegensatz zu Andrea würde sie im Schankraum eines Gasthofes nicht auffallen; im Gegensatz zu Ahira würde sie nicht auf uner wünschte Weise auf sich aufmerksam machen.
    Vielleicht hätte ich doch lieber Ahira mitnehmen sollen. Er wäre nicht aufgefallen: in der hintersten Ecke saßen ein Zwerg und sein menschlicher Begleiter, die sich einen Laib Schwarzbrot und eine Schüssel mit dickem Eintopf von unbestimmbarer Herkunft teilten. Nach dem Schnitt seines ledernen Wamses zu urteilen, kam der Zwerg aus Benereil - der Benerell-Stil stand schon immer für Kleidung, die zu eng war. Der menschliche Begleiter hätte von überallher kommen können, obwohl man dieses weizenblonde Haar eher in Osgrad als anderswo findet.
    Veränderungen geschehen, selbst wenn man nicht nach ihnen Ausschau hält. Oder vielleicht geschehen sie gerade dann, wenn man nicht nach ihnen Ausschau hält.
    Ich hatte Tennetty nicht geantwortet. Jetzt wandte ich mich ihr zu, wobei ich meine allzeit zarte Stimme erhob.
    »Ich weiß auch nicht«, sagte ich. »Dieses ...« — dieser Strich steht für eine lange Pause — »Ding, das wir heute morgen sahen, war das Fremdartigste, was jemals Tybels Augen gesehen haben, und das ist eine Tatsache.«
    Der breitgesichtige Bursche am Ende der Bank spitzte die Ohren.
    Ich nahm unseren ausgetrunkenen Krug und drehte ihn um - leer. Einen Moment später hätte ich neu bestellt, wenn nicht jemand diesen Hinweis schon aufgegriffen hätte.
    »Hmmm«, brummte Tennetty, was nicht viel half. Manchmal erkannte ich sie nicht wieder. Das war das dritte Mal, daß wir diesen Ablauf versuchten, und sie spielte ihre Rolle noch immer nicht besser als beim erstenmal.
    Ich fürchte, ich schaute sie böse an.
    »Das war's«, fügte sie einfallslos hinzu, und um etwas mehr zu bieten: »Wirklich fremdartig.«
    Es kostete mich alle Mühe, die Augen nicht zur Decke zu verdrehen und die Hilfe der Götter und des Himmels zu erflehen.
    »Äußerst fremdartig.«
    »Bitte um Entschuldigung, Reisender«, sagte der Bursche, dessen Aufmerksamkeit ich auf mich gezogen hatte, »aber hast du darüber gesprochen, etwas Fremdartiges gesehen zu haben?« Er erhob sich halb und gestikulierte höflich mit seinem eigenen, vollen Krug.
    Mehrere Male, dachte ich. Und verdammt plump.
    »Ich glaube, ich könnte so etwas gesagt haben«, antwortete ich und nickte ihm zu. Vermutlich wird ein Fisch, wenn er hungrig genug ist, auch an einem Haken mit einem Plastikkäfer anbeißen.
    Er goß etwas Bier in unsere beiden Becher, und dann erst nippte er an seinem.
    »In letzter Zeit sind hier viele fremdartige Dinge geschehen«, sagte er. »In den letzten paar Jahren zunehmend mehr. Reisende erzählen vieles, obwohl die Geschichten meist ausgeschmückt werden.«
    Ich nickte. »Das stimmt. Aber hierbei handelt es sich um eine Geschichte, die nicht aufgeblasen ist. Es geht um einen Wolf, der kein Wolf ist.«
    Wir brachten nach und nach eine Zuhörerschaft zusammen oder wenigstens einige Zuhörer. Der Schankraum einer Kneipe ist kein Ort für Menschen, die Einsamkeit bevorzugen. Der Zwerg und sein Begleiter schoben sich herüber, als ich eine ernsthaft wiedergegebene Version unserer Begegnung mit Boioardo und dem Wolfspack vom Stapel ließ: Vom Kampf erzählte ich nichts, ließ ihn einen Hirsch statt einer Kuh fressen und verlegte die Handlung von Bieme in die Gegend von Alfani. Ich war schon immer ein Verfechter von Details gewesen, niemals aber von den tatsächlichen.
    Normalerweise wird man, um etwas herauszufinden, herumgehen und Fragen s tellen, aber das zieht unweiger lich die Frage nach sich, wer man ist und was man will. Wenn man bedenkt, daß ein Preis auf meinen Kopf aussteht - die Pandathaway-Sklavenhändlergilde ist mir nicht mehr gewogen als ich ihr - , so sollte ich wohl an den meisten Orten, an die ich

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