Hüter der Flamme 06 - Die Straße nach Ehvenor
jedoch eins: Wenn du etwas sehr vorsichtig erwägst und überlegst, bevor du es tust, wirst du es höchstwahrscheinlich auch vermasseln. Immerhin, höchstwahrscheinlich ist immer noch besser als ›mit Sicherheit‹.
- WALTER SLOWOTSKI -
Ich habe mich immer darum bemüht, einerseits einen gewissen Sinn für Ausgewogenheit zu entwickeln, andererseits aber auch zu vermeiden. Zumindest seit dem ersten Philosophiesemester, in dem James Michael, Karl und ich zusammen waren.
Es gibt viele Wege, Ethik zu lehren. Professor Alperson bemühte sich um einen möglichst komplizierten.
»Okay«, sagte er. »Nehmen wir eine klassische ethische Problemstellung, eine zum Kopfzerbrechen. Ihr seid in einer bestimmten Stadt, an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Zeit und geht gerade entlang der Eisenbahnschienen spazieren. Plötzlich hört ihr das Pfeifen eines nahenden Zuges.
Jetzt, direkt vor euch, seht ihr zwei Menschen in den Schienen stecken. Jeder hat irgendwie einen Fuß darin eingeklemmt. Der eine ist ein alter Mann, den du als braven und barmherzigen Menschen kennst. Der andere ist ein junger Bursche, und du weißt, er ist so ziemlich der übelste Satansbraten von allen ... gut, lassen wir das. Ihr habt jedoch nur Zeit genug, um gerade einen von ihnen zu retten. Was würdet ihr tun, und wäre es nicht letztlich ganz gleich, was ihr tun würdet?«
Wir debattierten eine Zeitlang darüber. Für mich bedeuteten die Voraussetzungen, die er unhinterfragt zugrunde gelegt hatte, natürlich eine ungeheure Herausforderung - man sollte ein Problem nie ausschließlich von einer Seite betrachten - , aber er blieb standhaft. Nein, es gab für keinen von ihnen eine Möglichkeit, sich selbst zu befreien, der Zug würde nicht halten, und das mußte ich akzeptieren. Wissenschaftstheoretische Fragestellungen würden wir später erörtern.
James Michael versuchte es auf lange Sicht zu betrachten, verwarf es jedoch wieder. »In ein paar hundert Jahren sind beide längst tot, und dann ist es sowieso ganz gleich, wie man das Problem löst. War es das, worauf Sie hinaus wollten?«
Alperson zuckte mit den Achseln. »Vielleicht. Vielleicht aber wollte ich auf gar nichts hinaus.«
Karl nahm ihn ernst. »Man rettet einen. Nur einen von ihnen. Man rettet den alten Mann, weil er gut und tugendhaft ist und weil man seine Anständigkeit respektieren sollte, oder aber man rettet den Jungen, weil er, ganz gleich was für ein Miststück er auch immer gewesen sein mag, immer noch ein Recht hat, aufzuwachsen. Aber man rettet nur einen der beiden.«
Alperson lächelte. »Was wäre nun, wenn ich euch sage, der bestimmte Tag ist der 6. August 1945, und die Stadt, in der ihr euch aufhaltet, heißt Hiroshima, und in zwei Minuten wird die Bombe, die Enola Gay gerade abwerfen will, euch alle drei ausgelöscht haben? Würde das irgend etwas ändern?«
Karl schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht.«
Alpersons Lächeln wurde strahlender. »Gut. Ich weiß nicht, ob ich der gleichen Meinung bin, aber gut. Ihr habt euren Standpunkt gewählt. Jetzt müßt ihr ihn vertreten.«
Wir brauchten den ganzen Tag, um sämtliche Puzzlesteine zusammenzubringen. Die Einheimischen sprachen immer noch darüber, so daß unser offensichtlich bekundetes Interesse an dieser Sache ihnen nicht besonders merkwürdig vorkam.
Außerhalb der Stadt, aber innerhalb des Einflußgebiets von Lord Daeran, hatte es einen Mord gegeben.
Zur selben Zeit war hier eine Gruppe von vertraglich verpflichteten Ingenieuren aus Heim, die eine Glasfabrik errichteten. Fisch in Dosen - nun, wohl besser in Töpfen aus glasiertem Lehm abzufüllen, war eine Möglichkeit, einen ungewöhnlich großen Fang zu verarbeiten. Während stundenlang gekocht es und übersalzenes Großaugenhe ringsfilet in einem versiegelten Topf in Sole schwimmend nicht gerade das war, was ich für einen gelungenen Tag halte, gab es doch einige Leute auf dem Festland, für die es die größte, wenn auch recht teure Delikatesse bedeutete sowie eine sehr gute Ergänzung ihrer gewohnten Speisekarte, die üblicherweise aus einem großen Anteil an Brot und Zwiebeln und nur sehr wenig Eiweiß bestand.
Das Einwecken in Gläser würde auf jeden Fall einen Fortschritt bedeuten - sicherer, schneller und preiswerter. Lou Riccetti wünschte sich eine gewinnbringende Produktion guter Gläser, und das Ufer des Zirrischen Sees war der ideale Ort für eine solche Anlage. Deshalb hatte er ein Team von Ingenieuren geschickt, um die Lage
Weitere Kostenlose Bücher