Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
für ein Problem? Kannst du die Wahrheit nicht vertragen? Ein bisschen Selbstkritik muss doch drin sein.«
»Es geht nicht darum, dass ich keine Kritik vertragen könnte, sondern dass du bleibende Werte angreifst, die der Menschheit Halt geben. Aber davon scheinst du rein gar nichts zu verstehen. Für dich zählt nur dein Job, sonst nichts.«
Sie stand auf, da ihr die Nähe Hubers unangenehm wurde. Sie störte sich an seiner Respektlosigkeit und hegte zugleich einen Funken Bewunderung für seine Gradlinigkeit.
Beide Köpfe drehten sich in eine Richtung, als das Geräusch einer schweren Türklinke zu ihnen drang. Ein Mann mit einer purpurfarbenen Soutane erschien und näherte sich langsamen Schrittes den beiden Besuchern. Eine leichte, kaum wahrnehmbare Verbeugung deutete das nötige Maß an einstudierter Höflichkeit gegenüber Reportern und der Polizei an. Der Kardinal gab beiden die Hand, woraufhin Raphaela sich kurz hinkniete und den Ring des Kardinals küsste. Huber blieb stehen und betrachtete die Szene irritiert. Er musste sich zusammenreißen, damit sich seine Missbilligung nicht allzu deutlich in seinen Gesichtszügen widerspiegelte.
»Mein Name ist Kardinal Gambrioni. Ich bin Pressesprecher des Vatikans und vertrete die öffentlichen Interessen des Heiligen Stuhls. Bitte kommen Sie mit mir. Wir sollten uns an einem Ort unterhalten, an dem es etwas bequemer ist.« Der Kardinal versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht.
Sie betraten einen großen Raum mit hohen Decken, der an den Wänden mit kostbaren Gemälden bestückt war. Ein riesiger Kronleuchter dominierte den Raum. Huber betrachtete das funkelnde Ungetüm und fragte sich, ob man einer derart alten Deckenkonstruktion Vertrauen entgegen bringen konnte. Was wäre, wenn der Leuchter gerade in dem Augenblick herunterfallen würde, wenn jemand darunter hergeht …? Er schüttelte die düsteren Befürchtungen eines Kriminologen ab.
Der Kardinal wies dezent auf eine Sitzgruppe und setzte sich erst, nachdem Huber und seine Begleiterin Platz genommen hatten. Huber betrachtete den Geistlichen und würdigte dessen elegante Erscheinung mit einem kritischen Blick. Er misstraute ihm und ließ ihn nicht aus den Augen. Vor allem wartete er auf die Erklärung für ihren Besuch. Doch eigenartigerweise sprach der Kardinal zunächst kein Wort. Raphaela ihrerseits hätte es nie gewagt, das Gespräch zu eröffnen und hatte auch keine Mühe damit, stumm im Angesicht des Würdenträgers zu verharren. Sie wusste, was sich ziemt, wenn ein Geistlicher zugegen ist. Huber jedoch rutschte unruhig auf dem barocken Sofa hin und her und erzeugte ein unangenehmes Knarren. Er meinte eine vorwitzige Spiralfeder unter seinem Hinterteil zu spüren, die ihn fast zum Wahnsinn trieb. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und durchbrach die peinliche Stille. »Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Gambrioni, aber ich finde, es ist an der Zeit, uns über den Zweck unseres Besuches aufzuklären.« Huber blickte gespannt in Richtung des Kardinals und war stolz darauf, gewählte Worte gefunden zu haben. Von Raphaela hingegen erntete er einen mordlustigen Blick.
Der Kardinal legte die Soutane über seinen Knien zurecht und räusperte sich. »Nun gut, ich vermute, auch Ihre Zeit ist knapp bemessen. Es geht um Folgendes: Sie sind in einem Kriminalfall tätig, der für uns und gewissermaßen für die gesamte Christenheit von höchstem Interesse ist. Es geht um die ›Heilige Lanze‹, die aus Wien gestohlen wurde.«
Eine schwere Stille erfüllte den Raum, als hätte der sonst so redegewandte Kardinal Mühe, die richtigen Worte zu finden.
»Es geht vor allem um Mord«, widersprach Huber. »Die Lanze ist Diebesgut, völlig richtig, und ich bin von der Mordkommission, wie Sie wissen.«
Gambrioni winkte beschwichtigend ab. »Der Fall ist komplexer, als Sie sich das vorstellen. Natürlich haben auch wir ein Interesse daran, dass der Mörder des Onkels dieser jungen Dame und des anderen Opfers gefunden wird, aber leider geht es um mehr als das. Um viel mehr. Sie wollen wissen, warum Sie hier sind?«, fragte er und zeigte auf Huber. »Ganz einfach: Sie müssen die Lanze finden, bevor andere es tun.«
»Wie meinen Sie das, bevor es andere tun. Wer, glauben Sie, könnte Interesse an dieser Reliquie haben?«, fragte Raphaela.
Der Kardinal rieb sich die Hände und drückte sie dabei so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Nun, es ist so: Die Schatzkammer in Wien hat nach langen
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