Hüter der Macht
den anderen Schreiben beilagen. Denn zwischen den Medici und ihren Widersachern, die zumeist aus den aristokratischen Kreisen der alteingesessenen Magnati und Grandi stammten, gärte es mal wieder bedrohlich.
»Und?«, fragte Cosimo nach einer Weile, während er noch die letzten Zeilen von Ilarione de’ Bardis Brief las.
Lorenzo zuckte mit den Achseln. »Bartolomeo in Rom beklagt sich mal wieder, dass die ausstehenden Gelder aus London noch immer nicht eingetroffen sind, und unser Agent in London beklagt sich seinerseits über Bartolomeo, weil dieser angeblich ohne rechten Grund die Qualität seiner letzten Lieferung Silberwaren bemängelt hat. Nichts, was uns Kopfschmerzen bereiten müsste. Und bei dir? Gibt es was Neues aus Florenz? Was schreibt Ilarione?«
»Das Übliche aus der Gerüchteküche«, winkte Cosimo ab und fügte mit trockenem Sarkasmus hinzu: »Nichts, was uns mehr als sonst Kopfschmerzen bereiten müsste.«
Lorenzo verzog das Gesicht. »Ich denke, es wird allmählich höchste Zeit, dass wir in die Stadt zurückkehren und uns dort wieder zeigen. Mir gefällt es nicht, dass all die Magnati, die uns nicht gerade wohlgesinnt sind, schon längst in ihre Palazzi in Florenz zurückgekehrt sind. Du weißt, seine Feinde soll man sich so nahe wie nur möglich halten.«
Cosimo nickte. »Du hast recht. Wir sollten jetzt wirklich bald zurück in die Stadt. Sowie Vater sich ein wenig besser fühlt und auf einem Maultier sitzen oder sich in einer Sänfte tragen lassen kann, brechen wir hier unsere Zelte ab. Ich rede nachher mit Contessina, damit sie dem Personal erste Anweisungen für unseren baldigen Aufbruch gibt.«
»Apropos Vater!«, sagte Lorenzo. »Er hat seinen Diener geschickt. Wir sollen zu ihm kommen. Er hat etwas mit uns zu bereden.«
Überrascht zog Cosimo die Brauen hoch. »Er ist schon so früh wach?«
»Ja, und zwar schon seit einigen Stunden, wie der Diener sagte. Die verfluchte Gicht hat ihn mal wieder um den Schlaf gebracht.« Lorenzo schüttelte den Kopf. »Vielleicht sollte Vater besser zusammen mit deiner Frau auf dem Gut bleiben. Contessina kann ausgezeichnet mit ihm umgehen und wird bestimmt nichts dagegen haben, noch ein, zwei Wochen auf Cafaggiolo zu bleiben. Rechtzeitig zu deinem achtunddreißigsten Geburtstag Ende des Monats könnte sie nach Florenz nachkommen. Dann können wir beide schon morgen aufbrechen.«
Cosimo gefiel der Gedanke nicht sonderlich, Cafaggiolo schon so bald verlassen zu müssen. Er liebte das einfache und ruhige Landleben. Gern griff er zu Harke, Schaufel oder Heckenschere. Bei der Gartenarbeit konnte er am besten nachdenken, sei es über geschäftliche und politische Belange oder über das, was er in einem der Bücher seiner verehrten antiken Philosophen gelesen hatte. Aber die Vernunft sagte ihm, dass sein Bruder recht hatte und es tatsächlich höchste Zeit wurde, sich wieder in Florenz zu zeigen.
Deshalb nickte er, erhob sich und löschte das Licht der Öllampe. »Ja, das dürfte wohl das Beste sein. Aber nun lass uns erst einmal hören, was Vater auf dem Herzen hat.«
6
I hr Vater lag noch in seinem Bett, von mehreren Kissen gestützt. Sein Gesicht mit den kräftigen Wangenknochen, der hohen Stirn und dem vorspringenden Kinn sah grau, eingefallen und erschreckend knochig aus, gezeichnet von der schweren Krankheit, die ihm schon so lange zusetzte. Aber wenn sein Körper auch langsam vor dem unsichtbaren Feind in ihm zu kapitulieren begann, so war sein Geist doch immer noch so scharf wie eh und je.
»Gut, dass ihr kommt!«, begrüßte er sie und kam, ganz wie es seine Art im Umgang mit seinen Söhnen war, ohne lange Umschweife zur Sache. Seine erste Frage galt wie immer der politischen Lage in Florenz. »Gibt es etwas Neues aus der Stadt? Was sagen unsere Augen und Ohren, Cosimo?«
»Das Übliche, Vater, viele Gerüchte und nichts Konkretes. Vielleicht mehr Gerüchte als sonst um diese Zeit, aber …«
Ihr Vater winkte ab. »Jaja, wir loben die gute alte Zeit, leben aber gern in der Gegenwart«, zitierte er Ovid und wechselte das Thema. »Ich habe hier in den letzten Stunden einiges aufgeschrieben, was ich für die erfolgreiche Zukunft unseres Hauses für äußerst wichtig halte. Nehmt es als mein geschäftliches Testament.« Dabei pochte er mit den knöchrigen Fingern seiner von Altersflecken gesprenkelten Hand auf die drei Bögen, die er in seinem Schoß liegen hatte und die mit Notizen in sehr krakeliger Handschrift bedeckt waren.
Die beiden
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