Hüter der Macht
gefallen, oder«, fragte er spöttisch. »Womit hast du denn am meisten gehadert? Mit dem Gebot der Armut, des Gehorsams oder der Keuschheit?«
»Mit allen dreien«, gestand Sandro freimütig ein. »Und dass viele, vor allem die Oberen, sich nicht an die Gebote hielten, sondern prassten und herumhurten!«
Cosimo nickte. »Ja, so manches Kloster ist ein Augiasstall, der mit hartem Besen ausgemistet gehört. Aber nun weiter. Wie lange hast du das Kleid des Novizen getragen?«
»Keine sechs Monate, dann bin ich nachts über die Mauer davon«, fuhr Sandro fort. »Ich habe mich als Tagelöhner, als Stallknecht und als Laufbursche durchgeschlagen.«
»Söldner warst du wohl auch, so gut, wie du offenbar mit einer Armbrust umgehen kannst.«
»Nein, Ser Cosimo. Ich war zwar schon so manches, aber Söldner war ich nie. Das Kriegshandwerk liegt mir nicht. Den sicheren Umgang mit der Armbrust hat mir ein Wildhüter in der Lombardei beigebracht, für den ich fast ein Jahr lang gearbeitet habe, bevor ich nach Süden gezogen bin. Eine Zeit lang war ich auch Gehilfe eines Wundarztes. Mit ihm bin ich auf dem Schlachtfeld von Valdilamone gewesen, um die zu versorgen, die noch nicht dem Tode geweiht waren. Irgendwann bin ich wieder zurück auf die Landstraße und dort habe ich den Entschluss gefasst, in die Heimatstadt meines Vaters zu gehen und mein unstetes Leben aufzugeben.«
»Welchen Lohn hat man dir eigentlich für die Bluttat versprochen?«, erkundigte sich Cosimo.
»Luca und ich sollten jeder fünf Goldflorin bekommen und Ricco als Anführer das Doppelte. Das hat er behauptet.«
Cosimo zog die Mundwinkel hoch und lächelte spöttisch. »Ich sollte wirklich sehr gekränkt sein, dass meine Feinde der Ansicht sind, mein Kopf wäre so billig zu haben. Ich dachte, ich wäre mehr wert.« Er schwieg kurz, bevor er fortfuhr: »Du hast also auf fünf Goldflorin verzichtet. Das bringt mich zu der Frage, wie hoch ich dich dafür belohnen soll, dass du mir das Leben gerettet hast, Sandro Fontana. Was meinst du, sind zehn Goldflorin eine angemessene Summe?«
Sandro setzte sich auf seinem Stuhl zurecht. »Ich will kein Geld von Euch«, erwiderte er stolz. »Ich habe nur eine alte Schuld beglichen, Ser Cosimo, wie ich Euch schon gesagt habe. Deshalb ist ein Geldgeschenk, ganz gleich in welcher Höhe, auch nicht nötig.«
»Aber wenn ich mich dennoch für deine mutige Tat erkenntlich zeigen möchte?«
Sandro überlegte nicht lange. »Dann bietet mir kein Geld.«
»Sondern?«
»Eine Zukunft.«
Ein überraschter Ausdruck trat auf das Gesicht des Medici. »Eine Zukunft?«
»Ja. Eine bessere und ehrbare Zukunft, wie mein seliger Vater sie für mich erhofft hat, mir aber nicht hat geben können«, lautete Sandros Antwort. »Verschafft mir eine Arbeit, in der ich mich beweisen kann. Ich will etwas aus mir machen, worauf meine Kinder später stolz sein können. Das ist alles und zugleich mehr, als ich mir von Euch als Gunstbeweis erhoffen darf.«
Cosimo lächelte anerkennend. »Das ist wahrlich eine Antwort, die dich und das Andenken deines Vaters ehrt, Sandro Fontana.« Er dachte einen Augenblick lang nach. »Du hast gesagt, dass dein Vater im Tuchhandel tätig war?«
Sandro nickte.
»Dann kann ich davon ausgehen, dass du von dem Geschäft etwas verstehst?«
»Ein wenig, denn ich war erst elf, als mein Vater starb.«
»Wie sieht es aus mit Lesen, Schreiben und Rechnen?«, wollte Cosimo als Nächstes wissen.
»All das habe ich fleißig gelernt. Im Rechnen macht mir keiner so leicht etwas vor, und ich weiß eine Feder schnell und sauber zu führen«, versicherte Sandro.
»Nun gut, ich will sehen, was ich für dich tun kann. Geh indessen hinüber zu den Quartieren der Bediensteten«, er deutete zu den Wirtschaftsgebäuden, die sich hinter dem großen Garten erstreckten, »und frag dort nach Stefania. Lass dir von ihr eine ordentliche Mahlzeit vorsetzen. Wenn ich mich entschieden habe, lasse ich dich rufen.«
Sandro dankte ihm vielmals und verließ die Loggia. Doch inzwischen war sein Schritt nicht mehr zögerlich, spürte er doch, wie sich die Freude einen Weg bahnte und all die Zweifel und Sorgen verdrängte, die ihn in den letzten Tagen gequält hatten.
Sein größter Wunsch würde in Erfüllung gehen! Sein unstetes und zielloses Wanderleben als Tagelöhner ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft würde endlich der Vergangenheit angehören.
Die bedrückende Erkenntnis, dass er sich diese Zukunft mit Riccos Blut erkauft hatte,
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