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Hüter der Macht

Hüter der Macht

Titel: Hüter der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Lockenschopf. Er war aus einer Seitengasse herausgeeilt und strebte auf die andere Seite des Platzes zu. Sie wusste, sie war ihm schon einmal begegnet. Aber wo?
    Plötzlich wurde der Mann von einem breitschultrigen Lastenträger rüde angerempelt, der ein zusammengeschnürtes schweres Bündel aus langen Latten auf der Schulter trug. Der junge Mann wandte sich verärgert um und rief irgendetwas hinter dem Lastenträger her.
    Und in diesem kurzen Augenblick, als sie sein Gesicht von vorne sehen konnte, erkannte Tessa ihn wieder.
    Es war der Fremde mit der Armbrust, der dem Treiben damals am Teich so mutig Einhalt geboten hatte! Auch ihn hatte der Weg nach Florenz geführt!
    Wie gern würde sie ihn wiedersehen! Sie hatte sich ja noch nicht einmal bei ihm bedanken können.
    »Hallo! Landsknecht!«, rief sie in seine Richtung und winkte ihm zu. »Landsknecht! Wartet!«
    Aber der junge Mann reagierte nicht. Er wandte sich wieder um und eilte weiter. Nach wenigen Schritten verschwand er in einer engen dunklen Seitengasse.
    Tessa lief ihm nach, so schnell es ihr bei den vielen Menschen auf der Piazza möglich war, und versuchte erneut, ihn durch Zurufe auf sich aufmerksam zu machen. Doch kurz bevor sie ihn erreichte, trieb ein Händler seine sechs bepackten Maultiere in die Gasse. Die Tiere waren mit Stricken aneinandergebunden, sodass es für Tessa kein Durchkommen gab.
    Ungeduldig wartete sie, bis sie vorbeischlüpfen konnte, doch es war zu spät. Von dem jungen Mann fehlte jede Spur.
    Trotzdem lief sie noch ein Stück in die Gasse hinein, bis sie sich gabelte. Unschlüssig blieb Tessa an der Kreuzung stehen. Doch so angestrengt sie auch nach links und rechts spähte, der Lockenschopf war wie vom Erdboden verschluckt.
    Traurig kehrte Tessa um und setzte ihren Gang zum Perückenmacher Martelli in der Via Ghibellina fort. Sie wusste selbst nicht, warum sie so enttäuscht war. Sicher, der junge Mann hatte ihr in einer schrecklichen Situation geholfen, aber dass ihr sein Gesicht nicht aus dem Sinn gehen wollte, erstaunte sie doch über alle Maßen.

11
    P ass gefälligst besser auf mit deinen verdammten Latten, du elender Tölpel!«, rief Sandro dem Lastenträger wütend nach, der ihm soeben im Gedränge mit seinen Hölzern einen schmerzhaften Stoß an den Kopf versetzt hatte. Doch der Kerl reagierte überhaupt nicht darauf, sondern pflügte weiter rücksichtslos mit seiner schweren Last auf der Schulter durch die Menge.
    Sandro ballte die Fäuste und stieß einen Fluch aus.
    Mittlerweile erschien ihm Florenz wie ein riesiger dichter Block von Häusern, durchschnitten von einem verwirrenden Netz, das aus den fadendünnen Linien von oft irrwitzig gewundenen Gassen, vielen engen Straßen und oft gerade mal mannsbreiten Durchgängen bestand. Dieses Labyrinth wurde nur hier und da ein wenig aufgelockert von Höfen und Plätzen vor den Kirchen und Klöstern. Mitten im Zentrum der Stadt, rund um den gepflasterten Domplatz von Santa Maria del Fiore mit der gegenüberliegenden Taufkirche San Giovanni, hatte man weiträumig Platz geschaffen. Eine ähnlich große und repräsentative offene Fläche, die zweifellos in Hinblick auf öffentliche Versammlungen wie Feste, Prozessionen, Turniere und Staatsempfänge hoher Würdenträger angelegt worden war, hatte er auf seinen Irrwegen wenige hundert Meter weiter südlich vom Dom vor dem beeindruckenden Regierungspalast der Stadtrepublik vorgefunden, dem festungsartigen und zinnengekrönten Palazzo Vecchio an der Piazza della Signoria. Der wirkte wie eine rechteckige Stadtburg mit senkrecht aufstrebenden Wänden, in die erst weit oben und damit außerhalb der Reichweite möglicher Feinde lange Reihen schmaler Bogenfenster eingelassen waren. Fünfstöckig und von einem überkragenden Zinnenkranz gesäumt, erhob sich der Amtssitz der signoria, wie die republikanische Regierung von Florenz genannt wurde, in den Himmel. Er wurde nur noch von dem aus seinen eigenen Mauern aufsteigenden Wehr- und Glockenturm überragt, in deren Schaft zur Piazza hin eine große runde Turmuhr eingelassen war.
    »Hoffentlich bin ich jetzt endlich auf dem richtigen Weg«, murmelte Sandro, während er über den Platz lief. Er bog in eine Gasse ab und folgte ihr bis zur ersten Straßenkreuzung. Wenige Dutzend Schritte weiter gabelte sich die Straße vor einem alten Wohnturm abermals. Der Wegbeschreibung nach, die man ihm gegeben hatte, musste die Straße, die nach rechts führte, ihn an sein Ziel bringen: zu der

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