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Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)

Titel: Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Richner
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obersten Empore gelandet. Stühle mit geschnitzten Lehnen waren am Geländer entlang aufgestellt. Dahinter blieb genügend Platz, um rund um die Empore laufen zu können. In regelmäßigen Abständen führten schmale Treppen in die Empore darunter.
    „Da drüben sind noch freie Plätze“, sagte Finn und zog die beiden Mädchen mit sich.
    Emily erzählte Emma leise, was auf der Fahrt durch das Moor passiert war. Emma hörte zu und runzelte die Stirn, sagte aber nichts dazu.
    „Dort sitzt meine Schwester Hannah“, meinte sie eine Weile später und zeigte auf ein Mädchen, das ihnen gegenüber in der Empore saß. „Oh, und Leo ist auch hier.“
    Bald darauf betraten drei Hüter den Raum: Madame Foucault, Mr. Shaddock und Signor Montague. Sie stellten sich hinter das Rednerpult. Signor Montague klemmte das Monokel vor sein linkes Auge, und die Gespräche im Auditorium verstummten allmählich.
    „Der Grund unserer heutigen Versammlung ist sehr ernst“, begann Madame Foucault, als es still geworden war. „Die folgende Warnung richtet sich an die jungen Hüter unter uns.“ Sie machte eine Pause und schien jedes der Kinder einzeln zu mustern. Emily verspürte ein unangenehmes Kribbeln, als die stechenden Augen einen Augenblick lang auf ihr ruhten.
    „Im Moor halten sich sehr gefährliche Wesen auf“, fuhr die Oberste Bibliothekarin fort. „Irrlichter zum Beispiel. Normalerweise würden sie niemals einen Hüter angreifen, doch die Situation hat sich geändert. Deshalb rate ich euch dringend, euch vom Moor fernzuhalten und die Straßenbahn unter keinen Umständen zu verlassen, wenn ihr es durchquert. Und weil ich weiß, dass Kinder sehr selten auf Warnungen hören, möchte ich, dass ihr jetzt genau zuseht. Freundlicherweise hat Mr. Shaddock sich bereit erklärt, euch zu zeigen, dass Irrlichter auch zu Schlimmerem fähig sind, als euch zu hypnotisieren. Archibald?“
    Shaddock trat neben sie. Die beiden nickten sich zu. Als Shaddock mit gequältem Gesicht den weiten Ärmel seines Hemdes zurückstreifte und damit begann, einen Verband abzuwickeln, beugten sich die Kinder neugierig vor. Dann lief ein unruhiges Murmeln und Rascheln durch den Raum.
    „Du meine Güte“, flüsterte Emma entsetzt. Auch die anderen starrten betroffen auf Shaddocks Arm. Eine große, sehr schmerzhaft aussehende Brandwunde bedeckte die Haut vom Handgelenk bis zum Ellenbogen. Emily biss sich auf die Lippe. Ihr Blick wanderte zu Finn. Seine Hände waren um das Geländer der Empore geklammert.
    „Können das alle sehen?“, fragte Madame Foucault und drehte Shaddocks Arm hin und her. Shaddock stöhnte auf. Die Kinder nickten hastig. Einige sahen schon ziemlich bleich aus, und ein Junge hatte die Hände vor die Augen gelegt.
    „Ich hoffe, ihr nehmt meine Warnung vor den Irrlichtern nun wirklich ernst, nachdem ihr gesehen habt, was sie einem Menschen antun können… selbst wenn er ein Hüter ist“, sagte Madame Foucault eindringlich.
    Ein Würgen war zu hören. Ungehalten drehte die Oberste Bibliothekarin sich um. Der Junge, der sein Gesicht mit den Händen bedeckt hatte, war mittlerweile grünlich angelaufen.
    „Hättest du freundlicherweise die Güte, dich draußen zu übergeben?“, fragte Madame Foucault würdevoll. Der Junge nickte und verließ wankend das Auditorium.
    Shaddock stöhnte wieder und sagte durch zusammengebissene Zähne:
    „Ich würde jetzt gerne ins Sanatorium gehen.“
    „Oh, natürlich. Vielen Dank, Archibald“, sagte Madame Foucault, und Shaddock verließ den Raum.
    „Also dann… die jungen Hüter dürfen jetzt gehen. Mit den älteren möchte ich mich noch beraten.“
    Madame Foucault entließ die Kinder mit einer Handbewegung.
    „Gar nichts haben sie uns gesagt“, murrte Finn, als sie aufstanden, durch die Korridore gingen und das Gebäude verließen. Emily und Emma schauten sich an.
    „Na ja, sie haben uns vor den Irrlichtern im Moor gewarnt“, meinte Emma. Finn schüttelte unwillig den Kopf. „Aber sie haben nicht gesagt, warum die Irrlichter auf einmal Hüter angreifen. Das ist doch die wichtige Frage.“
    Emma zuckte die Schultern.
    „Was sind Irrlichter eigentlich genau?“, fragte Emily.
    „Wenn jemand im Moor umgebracht wird, dann entsteht ein Irrlicht“, erklärte Finn. „Eine Art Abbild des ermordeten Menschen. Ein kleiner Teil von ihm bleibt auf diese Weise für immer im Moor zurück. Normalerweise stehen die Irrlichter unter der Kontrolle der Hüter… aber jetzt offensichtlich nicht mehr,

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