Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
wenn sie Shaddock angegriffen haben.“
„Und das Mädchen aus der Straßenbahn gelockt haben“, murmelte Emily.
„Sie heißt Aurelia“, sagte Finn. „Ich habe mit ihr gesprochen. Wenn wir sie nicht rechtzeitig gefunden hätten, wäre sie jetzt wahrscheinlich verschwunden. Ich habe das Gerücht gehört, dass kurz zuvor tatsächlich ein Junge von einem Irrlicht entführt wurde, direkt aus der Bahn, obwohl auch Shaddock mitfuhr.“
„Vielleicht ist es nicht nur ein Gerücht“, sagte Emily aufgeregt. Auf einmal hatte sie sich an ihren ersten Abend in Arcanastra erinnert. „Als ich hier angekommen bin, haben sich Sophia und Madame Foucault unterhalten… und sie haben etwas von einem Jungen gesagt, der verschwunden ist.“
„Ich hab’s gewusst“, murmelte Finn.
Emily runzelte die Stirn. Wenn sie geahnt hätte, wie gefährlich die Reise durchs Moor wirklich gewesen war…
„An dem Abend habe ich Ilja getroffen, kurz bevor du auf dem Bahnhof angekommen bist“, erzählte Finn. „Er hat mir gesagt, dass die Irrlichter gerade eben einen Jungen aus der Straßenbahn entführen wollten und die Wächter deshalb die Scheiben schwarz übermalt hätten… er hat mir also nur die halbe Wahrheit gesagt. Die Irrlichter hatten den Jungen tatsächlich entführt.“
Entschlossen bog er in einen Seitenweg ein. „Ich gehe jetzt zu Ilja und Juno.“
„Wer sind Ilja und Juno eigentlich?“, fragte Emily.
„Ilja ist der Hauptmann der Wächter“, erklärte Finn. „Der Mann, der das Mädchen gerettet hat. Und Juno ist seine Frau. Sie ist für die Ausbildung der Wächter verantwortlich. Früher war sie mal Bibliothekarin. Ilja erzählt mir bestimmt mehr, wenn ich ihm sage, dass ich über die Entführung sowieso schon Bescheid weiß. Kommt ihr mit?“
Emily und Emma nickten beide, und sie machten sich auf den Weg.
Mittlerweile dämmerte es, und Emily dachte unbehaglich an Madame Foucaults Warnung. Was, wenn die Irrlichter auf einmal das Moor verließen und in die Stadt kamen? Immer wieder schaute sie sich um, doch sie konnte nichts Verdächtiges entdecken.
Das Haus von Ilja und Juno stand direkt an der Stadtmauer, in der Nähe des Tors. Als sie dort angekommen waren, klopfte Finn an die Tür.
„Wer ist da?“, fragte jemand im Haus.
„Finn“, antwortete Finn. „Und zwei Mädchen.“
„Wir haben Namen, weißt du?“, sagte Emma verärgert, doch aus dem Haus zischte es noch verärgerter:
„Mädchen?“
Im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen, und drei Mädchen starrten sie an – die drei mit den braunen, blauen und grünen Augen.
„Iljas und Junos Töchter“, stellte Finn vor. „Anthea, Ariadne und Artemis. Und das sind Emily und Emma.“
Die Mädchen musterten Emily und Emma kühl. Keine ließ sich anmerken, dass sie Emily kannte. Dann sagte eine von ihnen:
„Na dann, kommt rein.“
„Danke“, sagte Finn und grinste.
Das Erdgeschoss des Hauses bestand aus einem einzigen Raum. In einer Ecke befand sich die Küche, es gab einen langen Tisch und viele gemütliche Sessel, und auf den breiten Fenstersimsen lagen kuschelige Kissen. Emily stellte es sich sehr schön vor, dort zu sitzen und in einem Buch zu lesen.
Die Mädchen huschten in den oberen Stock. Ilja, der mit seiner Frau vor dem prasselnden Kaminfeuer saß, rief:
„Na, wie war die Versammlung?“
„Überflüssig“, sagte Finn verächtlich. „Weil sie uns höchstens die Hälfte erzählt und den interessanteren Teil weggelassen haben.“
„Hm, tja“, brummte Ilja. Dann stand er auf und streckte Emily die Hand hin.
„Wir sind im Moor nicht dazu gekommen, uns bekannt zu machen. Ich bin Ilja, und das ist meine Frau Juno.“
„Emily“, murmelte Emily verlegen, während sie beiden die Hand schüttelte. Juno war etwa zwei Köpfe kleiner als ihr Mann und hatte ein sehr freundliches Gesicht. Nachdem auch Emma vorgestellt worden war, sagte Juno:
„Ihr seid doch bestimmt hungrig. Es ist noch Schokoladentorte da, wenn ihr mögt. Ilja hat sie gebacken, und er kennt das beste Rezept in ganz Arcanastra.“
Die drei nickten heftig. Fünf Minuten später saßen sie vor riesigen Tortenstücken und dampfenden Teetassen.
„Sie haben uns bloß vor den Irrlichtern gewarnt“, beklagte sich Finn. „Und uns zur Abschreckung Shaddocks Arm mit der Wunde gezeigt.“
Ilja und Juno warfen sich einen Blick zu.
„Sie wollten euch wohl nicht allzu sehr verängstigen“, vermutete Juno. Nachdenklich schaute sie die drei Kinder an, dann sagte sie
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