Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
knarrten, und durch die Bleiglasfenster sah man über die halbe Stadt Arcanastra.
„Hannah! Gerade habe ich zu Emily gesagt, wie toll es wäre, dich zu treffen“, rief Emma und zwinkerte Emily zu. Hannah machte eine unwillige Handbewegung.
„Musst du mich schon wieder quälen?“, fragte sie.
„Warum denn nicht?“, erwiderte Emma frech. Hannah seufzte verärgert. Dann stand sie auf und streckte Emily die Hand hin. Verlegen schüttelte Emily sie.
„Freut mich, dich kennen zu lernen. Solltest dir allerdings gut überlegen, wie viel Zeit du mit meiner kleinen Schwester verbringen willst. Sie ist eine echte Plage“, sagte Hannah, packte ihr Buch und ging zur Tür. „Bin im Bestiarium“, erklärte sie. Dann war sie verschwunden.
„Ich glaube, wir haben sie vertrieben“, stellte Emily betreten fest.
„Ach, mach dir darüber keine Gedanken“, sagte Emma unbekümmert. „Sie ist nur aufgeregt wegen der Wächterprüfung. Du solltest mal hören, wie sie im Schlaf stöhnt und jammert. Jede Nacht wird es schlimmer.“
„Welche Prüfung?“, fragte Emily und setzte sich auf einen Stuhl.
„Sie will zu den Wächtern, ab vierzehn kann man die Aufnahmeprüfung machen. Die findet Anfang Dezember statt“, erklärte Emma.
„Und wenn sie besteht?“, wollte Emily wissen.
„Dann trainiert sie zwei Jahre lang mit den Wächtern, arbeitet daneben aber weiter im Bestiarium. Anschließend kann sie sich entscheiden, ob sie ganz zu den Wächtern wechseln und dabei helfen will, Arcanastra zu verteidigen. Jede Wette, dass sie das tun wird. Hannah redet schon seit Ewigkeiten davon.“ Emma zuckte die Schultern.
„Oh, das ist deins?“, fragte Emily, als ein sehr flauschiges weißes Kaninchen unter dem Bett hervor hüpfte. Es war dasselbe, das sie damals in der Bibliothek gesehen hatte.
„Herkules“, stellte Emma das Kaninchen vor. Emily kraulte es hinter den Ohren, und es schloss zufrieden die Augen. Um das rosa Mäulchen war das Fell des Kaninchens braun.
„Er mag gerne Schokolade“, erklärte Emma. „Frisst sie mir dauernd weg.“
In diesem Augenblick prallten einige kleine Steinchen ans Fenster. Unten vor dem Haus stand Finn.
„Was macht ihr?“, fragte er.
„Nichts Besonderes“, sagte Emma, nachdem sie das Fenster geöffnet hatte. „Und du?“
„Auch nicht“, antwortete Finn.
Emma drehte sich zu Emily um. „Wollen wir in Mr. Peebles Panoptikum gehen und uns eine Vorstellung anschauen?“
„Was ist denn ein Panoptikum?“, fragte Emily. Gleichzeitig zog sie hastig ihre Hand zurück. Herkules hatte ihren Finger für ein Stück Schokolade gehalten und kräftig daran geknabbert.
„Ach, das kann man nicht erklären, du musst es dir schon ansehen. Aber du wirst es bestimmt mögen“, versicherte Emma. „Mr. Peeble ist einer der Gelehrten Arcanastras. Ist jahrzehntelang umhergereist und hat nach verschollenen Büchern gesucht, die irgendwann mal aus der Bibliothek verschwunden sind. Einige davon hat er tatsächlich gefunden. Allerdings hat er wohl ziemlich schreckliche Abenteuer überstehen müssen, er ist seither nämlich ein bisschen seltsam.“
„Na gut“, nickte Emily.
Emma lehnte sich wieder aus dem Fenster und rief:
„Kommst du mit zu Mr. Peeble?“
„Klar“, rief Finn. „Miki will wahrscheinlich nicht. Er ist gerade dabei, eine wirklich seltsame Schrift zu üben.“
Die drei Kinder machten noch einen Umweg über Sophias Haus, um ihr Bescheid zu sagen. Emilys Großtante war gerade im Garten. Sie stand auf einer wackligen Leiter und hängte Kirschen ins Apfelbäumchen. Emma gluckste, und Finn grinste.
„Was tun Sie denn da?“, fragte Emma.
„Ach, hallo, Kinder“, freute Sophia sich. „Ich möchte morgen Apfel-Kirschen-Marmelade machen. Dann sind die Früchte schon gemischt, wenn ich sie pflücke. Das erspart mir eine Menge Arbeit.“
Vorwurfsvoll schaute Emily Emma an, die ihr Kichern nur mit Mühe unterdrücken konnte. Dann fragte sie:
„Sophia, ist es in Ordnung, wenn ich mit zu Mr. Peeble gehe?“
„Aber sicher, Liebes“, sagte Sophia, während sie die letzten Kirschen im Baum verteilte. „Komm einfach nicht zu spät zurück.“
Sophia stieg schwankend von der Leiter. Sie trat auf Emily zu und flüsterte ihr ins Ohr:
„Den Hausschlüssel stecke ich in die Tasche der Vogelscheuche.“
„In Ordnung“, flüsterte Emily zurück.
„Dann amüsiert euch gut“, sagte Sophia. „Ach… möchtet ihr noch ein Sandwich für unterwegs?“
Emily reagierte eine halbe
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