Hüter der verborgenen Bücher (Buch 1)
Sophia, die gefangen in einem tiefen, dunklen Kerker saß. Mit rasendem Herzschlag schreckte Emily auf. In der Stille ihres Zimmers horchte sie panisch nach der bösen, flüsternden Stimme des Orakels. Erst nach einer Weile beruhigte sie sich langsam wieder. An Schlaf war allerdings kaum mehr zu denken. Für den Rest der Nacht wälzte sie sich unruhig hin und her, voller Angst, dass die Träume zurückkehren könnten.
Irgendwann hielt sie es im Bett nicht mehr aus. Sie stand auf, obwohl es noch viel zu früh war, und hob das hüpfende Buch vom Rücken der Grille. Eine Weile blätterte sie darin, doch auch diesmal geschah nichts: Keine weitere Schrift erschien zwischen den Zeilen. Irgendwann gab sie auf und machte sich auf den Weg zur Bibliothek. Sie hatte sich an diesem Morgen dort mit ihren Freunden verabredet.
„Shaddock ist tatsächlich der Geist, hat die Orakelmechanik gesagt“, erzählte Emily ihnen. Am Tag zuvor war sie nicht dazu gekommen. „Er hat Linus entführt und damals schon das Mädchen, und…“, sie holte tief Luft.
„Und?“, fragte Emma.
„Und umgebracht“, beendete Emily ihren Satz. Schockiert sah Emma sie an. Finn ballte die Faust, und Miki runzelte die Stirn.
„Also ist es doch Shaddock“, murmelte Emma.
„Oder auch nicht“, sagte Miki.
Emma starrte ihn an. „Wieso? Glaubst du, die Orakelmechanik hat gelogen?“
„Orakelmechaniken können nicht lügen“, antwortete Miki. „Aber vielleicht hast du nicht richtig zugehört, Emily.“
„Doch, habe ich“, verteidigte Emily sich. Miki zuckte die Schultern.
„Und nach der Person, die dem Geist geholfen hat, hast du nicht gefragt?“, wollte Emma wissen.
„Nein.“ Emily biss sich auf die Lippe. Daran hatte sie wirklich nicht mehr gedacht. Sie war zu beschäftigt gewesen, das Orakel rasch loszuwerden.
„Wir können also niemandem darüber Bescheid sagen, was das Orakel verraten hat“, stellte Emma fest. „Erstens wissen wir noch immer nicht, wer dem Geist damals geholfen hat, und zweitens würden wir Julie in ziemliche Schwierigkeiten bringen, wenn wir von der Orakelmechanik erzählen.“
Ihre Freunde nickten zustimmend.
„Ach, übrigens…“, Miki zog eine alte, vergilbte Zeitung aus der Tasche. Das Datum darauf lag ziemlich lange zurück.
„Ich war im Zeitungsarchiv“, erklärte er und blätterte einige Seiten um. „Hier, in diesem Sonderartikel ist eine Liste aller Hüter abgedruckt, die in den letzten hundert Jahren verbannt worden sind. Seht mal diesen Namen…“
Er zeigte auf eine Zeile.
„ Archibald Shaddock, wegen Mordes verbannt für die Dauer von zwanzig Jahren“, las Emily vor.
„Na bitte. Und warum glaubst du dann noch immer nicht, dass er der Geist ist?“, fragte Emma verständnislos. „Genau dasselbe hat doch das Orakel auch gesagt.“
„Weil er mit dieser Vorgeschichte doch als erster verdächtigt wird“, erklärte Miki. „Bestimmt wurde er von den Bibliothekaren und den Wächtern genau überprüft.“
„Vielleicht wissen sie gar nicht, dass er mal verbannt wurde?“, überlegte Finn.
Miki schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. So was geht nicht einfach vergessen.“
Eine Weile schwiegen die vier. Dann fragte Miki:
„Geht es dir übrigens gut, Emily? Ich meine, merkst du was wegen der Orakelmechanik?“
Emily dachte an die Albträume der letzten Nacht und an die böse Flüsterstimme, die sie verfolgte, aber sie hatte keine Lust auf ein Ich hab’s dir doch gesagt! Also schüttelte sie den Kopf.
„Eben, war doch nicht so dramatisch, wie du gedacht hast“, sagte Finn zufrieden, doch Emily sah Miki genau an, dass er sich nicht täuschen ließ. Sie war ihm dankbar dafür, dass er trotzdem nichts sagte.
Madame Foucault hatte den jungen Buchbindern aufgetragen, ein bestimmtes Buch zu lesen, und Emily und Miki machten sich an die Arbeit. Emma und Finn hatten frei. Sie blieben deshalb in der Bibliothek und unterhielten sich leise über die Mechaniken, die sie bauten. Der Morgen zog sich in die Länge. Emily war müde, die Schrift war kompliziert, und als es endlich Mittag war, seufzte sie erleichtert auf.
„Zeit für eine Pause“, gähnte sie.
„Geht mir genau so“, sagte Finn, der die ganze letzte Stunde lang auf einer Bank gedöst hatte.
In diesem Moment tauchte Madame Foucault auf. Streng musterte sie Emily und Finn.
„Hier seid ihr also. Nun gut, ihr seid Wächter geworden, wie ihr es gewollt habt. Da ihr so erpicht darauf seid, euch zu beweisen, will ich
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